Rapunzel
Ein Mann und
seine liebe Frau wünschten sich schon lange ein Kind. So lange schon, dass sie
die Hoffnung fast aufgegeben hatten. Als sie doch endlich schwanger wurde,
waren sie beide überglücklich.
Auch wenn der
Mann (wir wollen ihn Johann nennen) schon merkte, dass seine Frau (die Else)
zunehmend mürrisch und launisch wurde, je weiter ihre Zeit voranschritt, so
trug er sie doch auf Händen (zunehmend bildlich natürlich).
Er brachte
saure Gurke und süße Sahne, Nougatcreme und gerösteten Speck und einmal mitten
in der Nacht machte er sich sogar auf, ihr frischen Feldsalat zu holen. Doch da
der Markt zu hatte und der Gemüse und Gurkenhändler ihm aufgebracht und mit
einem gemurmelten nicht schon wieder die Tür vor der Nase zu schlug, stand er mit
leeren Händen da.
Untröstlich
stand er vor seiner Frau, die in ihrer ganzen voluminösen Pracht schluchzte:
„Bring mir Feldsalat, ich brauche Rapunzel – so denk doch an unser ungeborenes
Kind“.
„Aber woher
soll ich den denn nehmen, wenn nicht stehlen den Salat“ fragte er, während er
mit seinen Hände immer neue Muster knetete. „Stehlen! Oh ja!“, freute sich
Else, „die alte Zauberin, die Hexe am Rande der Stadt, die hat doch einen
großen Kräutergarten, bei der Hexe, da hol mir die Rapunzel“ sagte Else und schob
ihre Unterlippe herrisch nach vorne.
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Johann machte
sich mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch wieder auf den Weg. Einen Tümpel
sollte sie haben, voller Steuereintreiber und anderer Halunken. Bis er zum
Garten der Kräuterfrau kam, war es schon früher bleigrauer Morgen. Beherzt
durch den leisen Tagesanbruch kletterte Johann unbehende über den Zaun. Der
Morgentau nebelte über Alraunen und tropfte von Kürbisblättern, Sonnentau und
Schirlingsblüten. Tatsächlich lugten einige wunderschöne Feldsalatwirbelchen
aus einem Hochbeet am Haus hervor.
Johann schlich
zum Beet, argwöhnisch von einer Krähe beäugt, die den Kirschbaum bewachte.
Schnell hatte er den Salat eingesammelt, packte ihn in seine Jutetasche und
wollte sich aus dem Staub machen. Da tat es einen Schlag hinter ihm, als die
Gartentür aufgestoßen wurde. Er fuhr herum und vor ihm hatte sich die runzelige
kleine alte Kräuterfrau aufgebaut. Die ansonsten
sehr ruhige
ältere Dame funkelte ihn: „Was stiehlst du aus meinem Garten du Halunke?“
„d D Den Salat“
stotterte er. „Den Salat?“ die Kräuterfrau kam drohend auf ihn zu. Dann fing er
an zu reden und zu stottern und reden und :“…und es ist einfach so, dass meine
Frau todunglücklich ist, wenn sie nicht sofort die Rapunzel kriegt“ schloss er.
„Dafür bestiehlst du eine Hexe?“ fauchte die Alte und ihr Schatten wurde
finster, begann sich von ihr zu lösen, während sie unheilvolle Kräfte in ihren
Händen sammelte. Die Krähe flatterte kreischend vom Baum.
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… bei der Hexe,
da hol mir die Rapunzel“ sagte Else und schob ihre Unterlippe herrisch nach
vorne.
„Also jetzt
reicht es mir“ schnauzte Johann zurück „denk an unser ungeborenes Kind wirfst
du mir vor – bei dir hackt es wohl“ Lauter werdend „Seit Wochen kommandierst du
mich rum und jetzt soll ich noch einmal quer durch die Stadt um dir Salat zu
stehlen? Aus einem Hexenhaus? Du bist vielleicht schwanger, aber ich bin nicht
irre!“ Elses Unterlippe zitterte inzwischen. Die Tränen kullerten, während sie
„Rapuuhuhuhnzel“ schluchzte. „Feldsalat gibt es morgen! Schluss aus, ich
geh jetzt schlafen“ Und Johann schlief zum ersten Mal seit 6 Monaten wieder
friedlich.
Sicher hatten
sie bis zur Geburt ihrer gesunden Tochter noch einige Mal Streit, aber Jessica
wuchs zu einem gesunden Mädchen mit wunderschönen Haaren heran.
Und der Prinz? Na der schwängerte Jessica, als er – kaum war sie süße 16 – in ihr Zimmer geklettert ist, danach wollte er nichts mehr von ihr wissen.
Frei nach: Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm