Geschichten von Schwertern und Zauberei

Der Kohler – 6

This entry is part 6 of 25 in the series Der Kohler

Im Tiefwald

Der Kohler hatte zwei Eimer mit Kies gefüllt, die schleppte er den schmalen Weg entlang und füllte immer wieder einen Teil davon in die tiefsten Matschlöcher auf seinem Weg. Der Esel leistete ihm Gesellschaft. Er stand jedes Mal, wenn der Kohler ein Loch gefunden hatte, daneben und wartete geduldig, während der Kohler einen Eimer absetzte, das Loch aus dem anderen füllte und die Steine zum Schluss mit seinen großen Füßen feststampfte. Er wartete auch geduldig während der Kohler die schweren Eimer beide wieder aufnahm und den Weg weiterlief. Dann folgte der Esel dem Kohler wieder unauffällig und unbeladen.

Die beiden erreichten die Hütte ein kleines Stück nach dem Mittag, aber ohne eine Pause zu machen, ging der Kohler in die Hütte und kam mit den beiden Astäxten, seinem Waldmesser und einem Seilbündel beladen wieder heraus. Das alles lud er auf den Esel, dann hielt er einen Augenblick inne, sah sich vergeblich nach der Ziege um und versorgte sich und den Esel noch mit Wasser, bevor sich die beiden auf den Weg machten.

Kleine tiefliegende Augen beobachteten den Esel und den Kohler bei diesen Unterfangen.

Der Tiefwald war ein kleines Vorplateau in Richtung Greifenstedt, eigentlich nah bei den beiden Gedingen. Man erreichte es jedoch nur durch den Wald, da der Berg vorher scharf abbrach, zerklüftete und nicht so sanft anstieg wie am Weg entlang. Da der Tiefwald schlecht zu erreichen war, wurde hier lange wenig Holz geschlagen. Die Ambition der neuen Grafen verlangte nun aber nach Bauten, die ihrer Stellung ebenbürtig war und dazu sollten die lange vergessenen Eichen und Eschen die nötigen Balken und Bretter liefern.

Der Kohler sollte die frisch geschlagenen Baumriesen für den Abtransport vorbereiten, die abgeschlagenen Äste würden nächstes Jahr seinen Meiler füttern. Das feuchte Laubwerk schon beim nächsten Kohlbrand als Gerüst und Dämmschicht unter dem Löschdach dienen. Es war gleichzeitig Recht und Pflicht des Kohlers, das Schlagholz zu säubern und so festgelegt im Kohlerbrief, der ihm auch die Nutzung der Hütte, einen festen Eigenschlag und das Stellen von Fallen zudingte.

Der Kohler war etwas schneller gelaufen als gestern, auch wenn es der Weg kaum zuließ und sich der kleine graue Esel redlich mühen musste, mit ihm Schritt zu halten. Und kaum waren die beiden am ersten geschlagenen Baum angelangt, machte sich der Kohler mit den beiden Astäxten an sein Werk.

Die Äxte sind kurzstielig, kopflastig und schwer. Die Klinge ist fast gerade und sehr weit nach unten gezogen. Sie ist schräg und versetzt zum Griff geschmiedet. Dadurch kann der Kohler gerade Schläge führen, die dicht am Stamm und gegen den Wuchs die Äste abtrennen, ohne dass er mit den Knöcheln an den Stamm schrammt. Mit einer Axt in jeder Hand attackierte er die Äste mit heftigen Schlägen. Erst nachdem er den ersten Stamm fast geschoren hatte, hielt er schwer atmend inne. Die linke Axt hatte sich in einem dicken Knoten verfangen, dabei etwas gedreht und die raue Borke hatte die Haut der vorderen Knöchel von kleinem Finger und Ringfinger gerissen.

Er presste die blutenden Finger an seinen Bauch, der Schweiß lief ihm von der Stirn in den Bart, tropfte vor ihm auf den Baumstamm, als er sich langsam und mit verzerrtem Gesicht nach vorne beugte. So blieb er eine Weile gekrümmt stehen, bis der Esel ihn mit dem Kopf anstieß. Der Kohler ließ sich langsam auf den nassen schlammigen Boden sinken. Der Esel drängte sich mit der Seite an ihn und stieß ihn mit der Seitentasche einige Male an. Nach einigen Stupsern, begann der Kohler schließlich in der Tasche zu kramen und brachte zwei Karotten zum Vorschein, die er dem Esel fütterte. Befriedigt ließ der den Kohler nun in der Pfütze sitzen und suchte sich eine etwas trockenere Stelle.

Er saß so eine Weile mit nassen Hosen am Boden, so lange, dass der kleine graue Esel bereits über eine dritte Karotte nachdachte. Dann schüttelte er den Kopf und stand langsam auf. Die feuchten Beinkleider klebten ihm am Hintern und schmutziges Wasser lief seine Beine herunter. Langsam, viel langsamer als vorher sammelte er die abgeschlagenen Äste auf zwei Haufen zusammen, ab und an verzog er das Gesicht und klaubte die nasse Hose von den Orten an und in die sie kroch. Den kleineren Asthaufen bander an das Geschirr des Esels, nahm das zweite Seilende in die Hand und so schleiften die beiden ihre Last entlang schmaler Tierpfade durch den Wald, bis sie am späten Nachmittag wieder auf den Hauptweg gelangten.

Der breite Waldweg war ungewöhnlich aufgewühlt, mehrere Reiter und Wägen waren in den letzten Stunden hier entlanggekommen. Die beiden hielten sich in der Mitte des Weges, der am wenigsten durch Räder und Hufe aufgewühlt war. Sie kamen gut voran und bogen vielleicht eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung am reichlich verdreckten Unterstand auf den kleinen Weg zur Kohlerhütte ab.

Ein Stapel letztjähriger Äste und Scheite war umgeworfen und Ziege stand kauend auf der teils aufgepflügten Lichtung. Das Gatter zum Anbau hing schief, aber stand noch nicht weit genug offen, um den Hühnern die Flucht zu erlauben. Aus dem halb aufgebauten Meiler in der Mitte der Lichtung war Rascheln und Scharren zu hören. Der Kohler zuckte nur die Achseln. Er spannte den Esel ab und führte ihn zum Unterstand. Er warf eine Handvoll Körner aus einem hoch hängenden Sack in den Unterstand und füllte die Tröge von Esel und Ziege, während die Hühner hungrig nach den Körnern pickten. Die gefüllten Tröge entfalteten ihre magische Wirkung und zogen die beiden Mitbewohner des Köhlers wie an der Schnur zu sich. Vorsichtig gebückt, verließ der Köhler den kleinen Anbau. Er richtete das Gatter und sicherte es nach einem prüfenden Blick zum Meiler noch zusätzlich mit einem Stück des Seils, mit dem er die Zweige herbeigebracht hatte. Bevor er selber in die Hüte ging, blieb der Kohler an dem länglichen Erdhügel neben der Hütte stehen.

***

Vor zwei Sommern hatte der Altkohler den verdreckten, fiebergeschüttelten und beinahe ausgebluteten Mann nahe des Hochpass gefunden. Er hatte erst versucht den Fieberwahnsinnigen durch den Wald zu schleifen, aber konnte den großen Mann auch nicht zusammen mit seinem Esel transportieren. In einem behelfsmäßigen Unterschlupf hatte er ihn 40 Tage lang gepflegt. Jeden Tag rechnete er damit, dass der Fremde seinen letzten Atemzug tun würde, aber der hatte sich langsam erholt. Die klaffende Wunde in seiner linken Seite hatte sich geschlossen und das Fieber war abgeklungen. Bis zum Herbst hatte sich der Mann genug erholt, um ihm leidlich bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen.

Weder fragte der Altkohler ihn jemals wo er hergekommen war, noch erzählte der Fremde es ihm, tatsächlich hatte er seit seinen wilden Flüchen und wirren Rufen, als ihn das Fieber noch fest im Griff hatte, kein Wort mehr gesagt.

Der Altkohler respektierte die Stille des Hünen, vergrub dessen Schwert und die geborstene Laute bei der langstieligen Axt und dem kurzen Speer neben der Hütte und freute sich an der Gesellschaft und ungeschickten Hilfsbereitschaft des bärenhaften Mannes.

Beinahe 40 Tage hatte es auch im letzten Winter gedauert, bis der Alte vom Husten aufgezehrt war. Der Kohler hatte ihn ebenso treu gepflegt und versorgt, nur leider ohne Erfolg. Darum musste er kurz nach den längsten Nächten des Winters auch das Grab hier ausheben. Er war dabei auf die Kiste, mit den Waffen gestoßen, die sorgsam in Öltuch eingeschlagen in einem Meter Tiefe ruhten, hatte den Alten dazu gebettet und das Loch wieder zugeschüttet. Nur die Laute hatte er genommen und über die Tür gehängt. Und er vermied es seitdem sorgsam dorthin zu blicken.

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