Im Tiefwald kreuzen sich Wege
Die Wildhüter waren recht rasch mit Uskar handelseinig geworden. Der Hauptmann trat die vier Deserteure gegen die Hälfte der Prise an sie ab, wenn sie sie einfingen und nach Kaiserach brachten. Klaas und seine Rotte würden dafür schon gerade stehen, falls sie die Flüchtigen nicht selber vorher einfingen.
Die drei ritten den Waldweg entlang. Kraki hatte heute wieder üble Zahnschmerzen und bildete die Nachhut, vorne ritten Hjallmann und Bjari.
Der fragte: „Suchen wir sie den Weg entlang? Oder beim Köhler? Wenn wir uns beeilen kommen wir da vor den Soldaten an“
“Nein, wir suchen sie im Tiefwald“, entgegnete Hjallmann „hab oben an der Klippe Spuren gesehen, glaub die haben versucht runterzuklettern“.
Die drei bogen wenige hundert Schritt hinter der Pechsiedersiedlung auf einem kleinen Harzschneiderpfad in den Tiefwald ab. Ihre Pferde mussten sie recht bald stehen lassen und sie banden sie auf einer kleinen trockenen Lichtung an, kurz bevor der Weg in den Tiefwald hinabstieg. So früh im Jahr, waren die kleine Wege noch wenig ausgetreten, sondern schlammig und verwachsen und die drei nutzten die Gelegenheit noch einmal auf trockenem Boden zu frühstücken.
Zumindest Bjari und Hjallmann frühstückten, Kraki saugte Luft über die Zahnstümpfe auf der linken Mundseite, dann zog er eine Grimasse und starrte düster auf das harte Brot und den Käse der beiden.
„Sollst nicht wie ein Hund leben“ Bjari reichte ihm einen Flachmann
„Siehst aber zu, dass du noch reiten kannst“ ermahnte ihn Hjallmann.
„Ist klar, wir reiten doch heute eh nicht mehr, wir sitzen ja hier, weil dein feines Pferd keinen Matsch verträgt“ Kraki nahm einen tiefen Schluck vom scharfen Schnaps. Er behielt den Apfelbrand eine Weile im Mund und badete die zersplitterten Zähne.
„Nein wir sitzen hier, damit deine krummen Beine aufhören vor Angst über n Spaziergang zu zittern“ Hjallmann lachte
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Etwa zur gleichen Zeit bog der Kohler und der Esel mit dem schwer mit Werkzeugen beladenen Wagen auf den Pfad in den Tiefwald ab, den sie bereits gestern genommen hatten. Sie folgten ihrer gemeinsamen Spur bis zum Schlag, an dem sie schon gestern gearbeitet hatten. Über eine Fläche von etwa 100 Schritt hatte der Förster des Grafen die größten Eichen fällen lassen. Der Kohler sollte sie jetzt entasten und das Bruchholz zusammen mit dem kleinen Esel abtransportieren. In einigen Wochen würden die Holzschläger wieder zurückkehren und die Stämme vor Ort so weit vorbereiten, dass ihre großen Kaltblüter, sie aus dem Tiefwald schaffen konnten. Eine mühsame Arbeit, die besser von der Hand gehen würde, wenn sie eine Schneise in den Wald schlagen könnten, aber der feuchte moorige Untergrund und die zerklüftet abbrechenden Felsen schützten den alten Tiefwald noch vor achtloser Gier nach Bau- und Brennholz.
Aber weder der eine noch der andere machten sich Gedanken, über eine Schlagroute oder die verständnissinnige und leichte Hand des Försters, den die Greifen von den Borgen geerbt hatten, der noch erfolgreich einen rücksichtlosen Kahlschlag ganzer Hänge vermied und gelegentlich betete, dass seine neuen Herren nie zur See reisen würden und wenn doch zumindest so sehr an Übelkeit litten, dass sich in ihnen niemals die Ambition zur Schifffahrt weckte.
Der eine machte sich Gedanken über die Satteltasche, über ihr Gewicht und die kleine wunde Stelle, die sie an seiner Schulter schabte. Wie viel leichter wäre die Schultertasche doch, wenn sie etwa keine Äpfel oder Rüben mehr enthielt.
Der andere vermied es noch zu denken oder immerhin seine Gedanken zu Worten werden zu lassen, Worte die sich viel unangenehmer in seinem Kopf drehten, als die einfachen Bilder. Vor die ließ sich leicht ein Stück Weg – vielleicht ein schlammiger Abstieg – schieben oder der nächste Handgriff, das auf und ab einer Säge, machte sich hervorragend.
Die Säge nagte sich durch einige große Äste und ihr Rhythmus überlagerte die Geräusche des Waldes und die Erlebnisse der letzten Tage, so dass als nächstes nur der nächste Handgriff anstand und nicht etwa Widerstand – nicht noch einmal.
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„Das ist doch nie und nimmer der richtige Weg. Meine Stiefel sind durchgeweicht und ich sehe weder Klippe noch Jungen“ fluchte Bjarn
Hjallmann blickte sich finster um: „Ich sage, wir gehen nach Norden und das ist Norden, so kommen wir auf jeden Fall an die Klippe“
„Woher weisst du, wo Norden ist? Ich sehe hier kaum die Sonne und wir haben uns auf den letzten 100 Schritt mindestens dreimal im Kreis gedreht.“
„Der Boden fällt zur Klippe ab, solange der Boden immer feuchter wird, sind wir richtig“ entgegnete Hjallmann.
„Na großartig, je nasser unsere Füße desto besser. Inzwischen haben die Soldaten wahrscheinlich schon alles eingefangen und sitzen mit Tee und den zwei Mädels auf dem Schoß am Feuer“
„Halt die Klappe! Norden ist, wo ich es sage und wir gehen lang, wo ich es sage“ Hjallmann baute sich vor dem größeren Bjarne auf. Obwohl Bjarne einen guten halben Kopf größer war als Hjallman und auch deutlich breitere Schultern hatte, senkte er den Kopf und nickte.
„Klar Herr“ beschwichtigte er den anderen, „aber wir könnten doch vielleicht die Holzfäller fragen, ob es eine Abkürzung gibt“
„Was für Holzfäller?“ fragte Hjallmann
„Ich höre schon eine Weile eine Säge, du hast doch vom Holzschlag hier unten erzählt“
Hjallmann lauschte, dann lächelte er: „Hast Recht mit der Säge, aber Holzfäller sind das nicht. Das ist der zurückgebliebene Köhler, den ich hierher geschickt hab.“
Kraki lief einige Schritte hinter den Beiden, er hatte die kürzesten Beine und er taumelte leicht, aber ihm machte weder Weg noch Matsch so viel aus, wie den beiden anderen. In seinem Bauch schwappte das meiste von Bjarn’s Schnaps. Obwohl er immer wieder sauer davon aufstieß, hatte sich der Apfelbrand freundlich um seine schmerzenden Zähne gelegt, wärmte seine durchnässten Schuhe und färbte sogar die Frühlingssonne noch ein wenig goldener, wo sie durch die Bäume lugte. Daher merkte Kraki auch gar nicht, wie die beiden anderen nach rechts abbogen, sondern folgte weiter dem kleinen Wildpfad nach Norden, blieb also auf dem kürzesten Weg zur Klippe.
Vom Sägen geführt kamen die beiden rasch zu dem gefällten Baum, an dem der Kohler gerade arbeitete. Der war tief in seine Arbeit versunken, aber der Esel sah die beiden Männer aus dem Wald kommen. Den größeren von beiden kannte er kaum. Wenn der den Kohler zusammen mit dem anderen besuchte, blieb er meist ein wenig im Hintergrund, war ruhig und kratzte sich am kahlen Schädel. Er machte auch immer einen gewissen Bogen, um den Kohler. Ganz anders der kleinere von beiden. Der sprang seinem Hüter immer in’s Gesicht und immer, wenn der mit ihm geredet hatte, war er aufgebracht und kam seinen Pflichten nicht mehr nach.
Also rief er laut, bis der Kohler das Sägen aufhörte. Er schaute sich um, der lange einhändige Fuchsschwanz in seiner Hand glitzerte in der Sonne, die großen Zähne dunkel von Harz und Späne verschmiert. Hjallmann war bis dicht an den Hünen herangeschlichen, vielleicht hatte er ihn erschrecken oder treten wollen, jetzt machte er einen unwillkürlichen Schritt zurück.
Er sammelte sich: „Du kommst mit und hilfst uns“ schnauzte er.
Der Kohler sah ihn kurz nur an, machte dann einen großen Bogen mit der Säge, die die Lichtung und die gefällten Bäume einschloss.
„Die liegen nachher noch da. Du kommst mit zur Klippe“ Hjallmann drehte sich um „bring den Esel mit“ Er trat nach dem Esel: „Mit dir rede ich“ kicherte er.
Der Kohler trat mit dem Fuchsschwanz in der Hand zum Esel.
„Die Säge brauchst nicht, wir fangen Deserteure, keine Bäume.“ warf Bjarne von hinten ein.
Er hielt kurz inne, dann löste er die Gurte der Satteltaschen, was beim Esel ein wohliges Zittern auslöste. So blieb er einen Moment lang stehen, stirnrunzelnd über die Satteltaschen am Boden gebeugt.
„Heut noch“ herrschte Hjallmann „und führe einen schön trockenen Weg zur Klippe“
Er nickte und nahm nur das große Waldmesser auf, dann zog er den kleinen Esel sachte am Geschirr hinter sich her, bis der sich in Bewegung setzte und machte sich in Richtung der Klippe auf den Weg.
Bjarne und Hjallmann warteten einen Moment auf der Lichtung. Der riesenhafte Holzfäller bewegte sich überraschend leichtfüßig durch den Wald. Er folgte einem kaum sichtbaren Wildpfad, bückte und beugte sich, um den Frühlingsästen auszuweichen. Nur wenn es gar nicht anders ging, durchtrennte er mit einem Schwung der nach innen gebogenen Seite des fußlangen Messers das Unterholz.
„Na los, hinterher“ Hjallmann stieß Bjarne an.
„Was für ein Riese“ murmelte der „Sag mal, kommt er dir nicht auch bekannt vor?“
„Bekannt? Woher denn?“
„Vom Feldzug vor zwei Jahren. Ich könnt schwören, ich hab‘ ihn bei der letzten Schlacht gesehen“
„Ach was der zurückgebliebene Klotz ist der Sohn vom alten Köhler, keiner von den 23. Auf jetzt“
Bjarne folgte fluchend auf dem zugewucherten Pfad. „Wo ist eigentlich Kraki abgeblieben?“
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