Gefunden
Der Boden wurde Schritt für Schritt matschiger, Krakis Hosenbeine hatten sich bis zu den Knien mit Wasser vollgesogen. Er war dem kleinen Pfad gefolgt, hatte aber schon einige Minuten nichts mehr von seinen beiden Gefährten gehört oder gesehen.
Er blieb stehen, stützte sich mit der Hand an einem knorrigen kleinen Baum ab und holte tief Luft. Mit der Zunge prüfte er die zackigen Stümpfe der Schneidezähne und Eckzähne auf seiner linken Gesichtsseite. Alle da, alle weg und langsam kamen die Zahnschmerzen zurück. Er tastete nach dem Flachmann, aber erinnerte sich daran, dass Bjarne den vor einiger Zeit zurück hatte haben wollen. Prüfend schaute er auf den Weg vor sich. Könnten Spuren sein oder auch nicht murmelte er, aber wahrscheinlich nicht, gestand er sich ein.
Zurück laufen durch den Matsch, laut rufen und den Spot einsacken? Beides waren keine ansprechenden Ideen. Er kniff das linke Auge zusammen und saugte quietschend Luft über die ruinöse Zahnlandschaft, der gewohnte Schmerz durchzuckte ihn.
„Arschlochritter mit dem Arschloch Handschuh“ grummelte er und kämpfte sich durch die Äste, die vor ihm den Weg versperrten. Sein linkes Bein versank bis zur Wade in einem Schlammloch und er klammerte sich hastig an einen der Äste, die er gerade noch unwirsch beiseite geschoben hatte.
Vor ihm erstreckte sich eine sumpfige Lichtung bis zum Fuß der Klippe. In einem unregelmäßigen Kreis um einen weitläufigen morastigen Tümpel standen kurze breitstämmige Bäume mit ausladenden Kronen. An die Felswand gegenüber klammerte sich ein größerer Baum, dessen Wurzeln flach in den Morast hineinwuchsen. Die Sonne verschwand gerade über der Klippe, so dass die dürren weitläufigen Äste auf das sumpfige Wasser einen unregelmäßigen Schatten warfen, aber ihn noch blendete.
Er schirmte seine Augen und schaute nach unten. Am Rand des Tümpels glitzerte Froschleich seltsam rosafarben, dann sah er das Mädchen, dass wenige Fingerbreit unter der Wasseroberfläche zu treiben schien. Er quietschte wieder durch die Zähne und hielt Ausschau nach einem kräftigen Stock, während er vorsichtig um den Tümpel herumging.
Janis war, nachdem der Baum seinen Sturz gebrochen hatte, ohnmächtig den Stamm hinunter gerutscht. Er war im Lauf des Tages immer wieder zwischen Schmerz und Ohnmacht wach geworden, erst am späten Mittag schaffte er es auf die Beine und kroch mühsam und stöhnend hinter dem Baum hervor.
Kraki konnte sein Glück kaum fassen, verloren und verlaufen und zwei von den Täubchen waren ihm direkt in die Arme gefallen. So wie die beiden aussahen wortwörtlich. Schade, dass die eine tot war, aber das konnte man nicht ändern und der Junge sah auch mehr tot als lebendig aus. Hauptsache er überstand es bis zur Übergabe.
Er packte den Jungen und zog ihn hoch. Janis war kaum Herr seiner Sinne, aber er begriff, dass er wieder gefangen war und versuchte sich von dem Mann, der ihn unsanft festhielt los zu machen. Der andere packte ihn fester. Wie eine Schraubzwinge grub sich die Hand des Mannes in Janis ausgekugelte Schulter, der Schmerz riss ihm einen lauten Schrei von den Lippen. Erschrocken lockerte Kraki seinen Griff und Janis riss sich los und taumelte blind weg.
Der Kohler hatte einen kleinen Umweg genommen, er folgte einer alten Muräne, die etwas höher lag als der Sumpf, dadurch gelangten sie alle sehr viel trockener bis zum Fuß der Klippe, der er anschließend folgte. Sie beiden Männer folgten ihm in etwas Abstand, der Esel hatte zu ihm aufgeschlossen. Er hörte einen schrillen Schrei von vorne, blieb kurz stehen, dann beschleunigte er seinen Schritt. Er drückte sich durch das Unterholz in die Lichtung bei der Sumpfeibe. Kaum aufrecht taumelte ihm Janis entgegen, stolperte gegen den links von ihm laufenden Esel und blieb schwer atmend liegen.
Wäre Janis heute Nacht, als er an der Sumpfeibe herunterrutschte nach vorne gefallen, wäre er sicher neben Marie ertrunken. So hatte er nur gebrochene Rippen, eine ausgekugelte Schulter, ein zerschlagenes Gesicht, völlig zerrissene blutverschmierte Kleider und nicht zuletzt gequetschte Hoden. Er lag fast nackt, blutend und zitternd zu Füßen des kleinen grauen Esels, der überraschend ruhig blieb. Mit verzerrtem Gesicht und blutigen Händen folgte ihm ein Mann der bedrohlich einen langen Stock trug.
Kraki wurde langsamer, als die mächtige Gestalt mit dem kleinen Esel aus dem Wald trat und der Junge neben den beiden zu Boden fiel. Er blieb abrupt stehen, als der Hüne einen Schritt nach vorne machte und ein fußlanges krummes Messer hob.
Der Kohler hatte sich schützend vor einem rothaarigen Jungen aufgebaut. Sein Waldmesser sah nicht im Geringsten mehr aus wie ein Werkzeug, sowohl die nach unten gebogene Klinge als auch die zu einem kleinen Beil geformte Rückschärfe versprachen hässliche Verletzungen. Bjarne kam dazu, als Kraki vorsichtshalber noch einen Schritt zurück machte. Er zog sein kurzes Schwert und machte ein paar Schritte über den morastigen Boden der Lichtung, der Sumpf zog an seinen Stiefeln und ließ jeden Fuß nur mit einem saugenden Geräusch los.
„Leg das hin“ sagte er, der Kohler schüttelte den Kopf.
„Geh weg von dem Jungen“ ein zweites Kopfschütteln.
„Hau ab“ Kraki hatte seinen Streitkolben vom Gürtel gelöst und nestelte mit der linken Hand an seinem Dolch. Sie standen jetzt beide mit dem Rücken zum Tümpel, etwa drei Schritt auseinander.
Der Kohler machte den Mund auf, flüsterte etwas, räusperte sich, dann schüttelte er wieder den Kopf.
Bjarne duckte sich etwas nach vorne, er verlagerte sein Gewicht und fühlte wie sein rechter Fuß tiefer in den Morast sank, furchtbare Bedingungen für einen Kampf. Kraki hatte es besser, je dichter er zu den Felsen der Klippe kam, desto trockener aber auch steiniger war der Boden, er ging noch ein wenig dichter Richtung Felswand und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne, den Streitkolben hielt er hoch, die andere Hand hatte er hinter seinem Körper.
Schaut man von oben auf dieses Tableau ist die wichtigste Frage, ob der Kohler den dritten Gegner vergessen hat. Die zwei gemeinen Bösewichte auf der Lichtung scheinen zu wissen, was sie tun. Sie binden die Aufmerksamkeit ihres Gegners, während sich in dessen Rücken Hjallmann anschleicht. Der hat ein gemeines kleines Lächeln auf den Lippen. Seine Abneigung gegen den großen Einsiedler im Wald hat gar keinen besonderen Grund. Nur dass er größer ist als Hjallmann, den sie gern auch mal den Halbmann nennen und dass er anders ist und dass man ihn so leicht und gut verachten kann. Er hat sich daran gewöhnt den großen Mann herumzuschubsen, aber hat sich immer in einem kleine Teil seines Kopfes gefragt, ob sich der Große vielleicht nur herumschubsen lässt, weil er es will. Ihn nun mit erhobener Waffe zu sehen, mit dem Rücken zu ihm, ihm ausgeliefert, das bestätigt dem Halbmann, dass er doch ein ganzer Kerl ist. Er wartet geduldig auf den Augenblick, in dem er ihm gefahrlos in den Rücken fallen kann.
Für einen Augenblick halten alle die Luft an, dann geht alles ganz schnell. Hjallmann ist in Stoßweite bis hinter den Esel gekrochen. Kraki hebt die Keule hoch über den Kopf und schreit, macht einen knappen Schritt nach vorn und schwingt die Keule, Bjarne will sich abstoßen, aber versinkt mit dem rechten Fuß noch etwas tiefer im Schlamm.
Das Waldmesser macht einen langen Bogen von unten nach oben und durchbricht die Bahn der Keule knapp hinter dem Handwurzelknochen. Nun ist es gar nicht leicht einen Arm zu durchtrennen, aber da Kraki mithilft, hat der Kohler nur die halbe Arbeit, Hand und Keule stecken vor Bjarne im Morast. Der versucht sich krampfhaft zurück zu lehnen, sein Fuß steckt im Morast fest und der Stich seines Schwertes geht eine Handbreit am Bauch des Kohlers vorbei, der plötzlich viel dichter an Kraki steht, als noch einen Augenblick davor.
Der festgesetzte Fuß rettet Bjarne aber auch das Leben, denn er ist einige entscheidende Zentimeter, eine Halsbreite um genau zu sein, weiter weg vom Kohler, so dass die Klinge nur sein Schlüsselbein bricht und das Schwert aus der kraftlosen Hand fällt. Der Waldmann wendet sich wieder Kraki zu, der mit dem Dolch nach ihm stochert. Die Hackseite des Waldmessers trennt Daumen und Zeigefinger der linken Hand ab und Kraki stolpert weiter zurück, bis er rückwärts ins Wasser fällt.
Hinter dem Kohler erhebt sich Hjallmann, er holt mit seinem langen Messer weit aus und drückt den kleinen grauen Esel mit der linken Hand beiseite, um dem Kohler die Klinge in den Rücken zu stoßen. Der Esel zuckt einmal mit rechten Ohr und tritt heftig aus. Unter dem Huf bricht knirschend der Hüftknochen. Er schlägt blindlings nach dem Esel, während sein Bein nachgibt und er zu Boden geht. Das Messen schabt schmerzhaft über die Rippen des Esels, der laut aufschreit und mehrmals nachkeilt, bis sich der Angreifer nicht mehr rührt.
Beinahe als Nachsatz trifft Bjarne ein wuchtiger Tritt in den Brustkorb und raubt ihm den Atem, wirbelt ihn halb herum und wirft ihn zu Boden. Sein rechtes Bein bleibt im Sumpf stecken und die Patella im Knie reißt ab, den Schmerz wird er aber erst spüren, wenn er wieder atmen kann.
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