Geschichten von Schwertern und Zauberei

Der Kohler – 1

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Auf dem Weg zum Kohlerhof

Esel und Kohler teilten sich die Arbeit. Der Weg in den Wald stieg lange aber stetig an und der Anstieg setzte sich zu den Säcken und auf die Achsen des Wagens, machte das letzte Stück des Weges noch einmal beschwerlicher. Ab und an überlegte der Esel, einfach stehen zu bleiben. Wie es eben die Art von Eseln ist, die schlauer sind, als Ochsen oder Pferde. Dann drehte er seinen grauen Kopf zur Seite und schaute zum Kohler hoch, der neben ihm lief und wie er an der Deichsel zog. Der Esel musste seinen Kopf recht weit drehen. Er war ein kleiner Esel und der Kohler war ein großer Mann.

Der Kohler blickte mal geradeaus und mal auf den Esel, aber er blieb nie stehen. Und weil die beiden sich die Arbeit teilten, blieb der Esel ebenfalls nicht stehen. Vielleicht aber auch weil manches Mal, wenn der Esel schaute, der Kohler eine Karotte aus der Tasche kramte und sie dem Esel reichte.

Blickte man hinter ihnen den Weg entlang und folgte  seinen Kurven, so einen guten halben Tag, kam man nach Borgstedt oder wie es neuerdings heißen sollte: Greifenstedt. Auf dem Hinweg hatte der Wagen Kohlen geladen und ein paar Fässchen Kiefernpech. Es war erst das vierte Mal, dass Kohler mit dem Esel nach Borgstedt gekommen war und es war das erste Mal, dass er allein war. Ohne den Altkohler, der ihn im vorletzten Herbst aufgenommen hatte. Der Altkohler hatte die letzten Male das Reden und Handeln übernommen, hatte den Jungkohler vorgestellt – so wurde aus dem Kohler erst der Altkohler – und vor dem letzten Winter, als der Husten ihn schon morgens und abends schüttelte, hatte er noch beim Vogt vorgesprochen, sodass aus dem Jungkohler der Kohler werden konnte.

Auf dem Rückweg war der Wagen mit Säcken beladen: Zwiebeln, Rüben, Mehl, Käse, Butter und Winteräpfel, außerdem Eier und drei lebende Hühner. Die hatte die Marktfrau mitleidig angesehen, als sie sie auf den Wagen band. Im Hochwald sagten sich Fuchs und Haas gute Nacht, wollte der Haas nicht zuhören, nahm der Fuchs eben Hühner. Aber der Kohler hatte nichts zu ihren Befürchtungen gesagt und so hatte sie alles von seiner Liste auf den Wagen gepackt.

Die beiden, Esel und Kohler, waren nun oben auf einer Lichtung im dicht bewaldeten Plateau angekommen und damit im Hochwald. Später im Frühling rasten auf dieser Lichtung die Fronarbeiter, Holzfäller und Pechsammler, im Herbst sammeln sich hier die Jäger. Ein munteres Bächlein floß ein Stück den Weg entlang, bei Tauwetter auch gerne einmal über den gesamten Weg. Der Esel blickte einmal wieder zum Kohler hoch und diesmal nickte der Hühne und die beiden blieben stehen.

Nachdem der Esel losgemacht war, knieten beide nebeneinander an den Bach und steckten ihre Köpfe in das eiskalte Wasser. Der eine zum Trinken und der andere, um sich abzukühlen. Der Esel warf den Kopf zurück und schüttelte sich, dass seine langen Ohren links und rechts flatterten. Der Kohler warf den Kopf zurück und das Wasser floss von seinem kahlen Schädel in den Saum der einfachen Tunika und in den langen, rotbraunen Bart. Er legte sich den Bart auf die Schulter und beugte sich noch einmal nach vorne, um diesmal auch zu trinken. Sie teilten sich einen Apfel und das Gras. Einer fraßes, einer lag ein paar Minuten darauf. Dann stellte sich der Kohler wieder zum Wagen und der Esel überlegte sich wieder, ob er nicht einfach stehen bleiben sollte.

Zum Einbruch der Dunkelheit etwa werden die beiden an der Kohlerhütte ankommen. Wie die Krähe fliegt, war das gar nicht mehr weit weg. Der Wald wurde hier aber rasch so dicht, dass gar keine Krähen mehr quer flogen.

Ein zweiter Apfel überredete den Esel zum Wagen zu kommen und sich auf den letzten Teil ihres Weges zu machen.

Der Hauptweg durch den Wald war mindestens ochsenkarrenbreit, zumeist breiter. Nach dem Winter war er noch reichlich schlammig und verkommen. In den nächsten Wochen werden die Fronarbeiter ihn wieder frei räumen und befestigen, bis zum Hochpass und der alten Garnison an der alten Grenze zum Reich. Borgstedt hatte die Garnison schon lange nicht mehr besetzt, obwohl dies die Lehnspflicht der Herren von Borg war.

Die Familie Greif würde nun die Grenzgarnison auch nicht mehr besetzen müssen, schließlich war es keine Grenze mehr, der breite Waldweg nun eine wichtige Handelsroute im Reich.

Von dieser bogen Esel und Kohler an einer Kreuzung mit einem geräumigen Unterstand ab. Hier zum Unterstand brachte der Kohler sonst seine Kohlen. Die Minen auf beiden Seiten des Passes hatten einen ständigen Hunger nach Brennstoff. So wie die Armeen des Reiches einen ständigen Hunger nach Eisen hatten. Am Unterstand hing an einem breiten Baum ein schmaler Käfig, der größtenteils leer war. Die paar Knochen am Boden des Käfigs lockten schon lange keine Krähen mehr an, erinnerten aber daran, was passierte, wenn man mit einem Wagen voller Kohle erwischt wurde,die man nicht bezahlt hatte.

Hinter der Kreuzung wurde der Weg schmal und beschwerlich. Der Wagen war auch noch ein wenig schwerer als vorher, weil der Kohler vom Unterstand zwei Eimer groben Kies mitgenommen hatte. Die kippte er in die größten Löcher im Weg und stampfte sie mit den Füßen fest. So war es bereits sehr dunkel, bis sie zur Kohlerhütte kamen. Die Sonne war untergegangen, der Himmel bewölkt und der Mond stand noch hinter den Bäumen. Die Lichtung war kaum mehr zu sehen, der Geruch nach Kiefernteer und altem Feuer aber unverkennbar, auch wenn gerade kein Meiler qualmte.

Kohler und Esel zogen den Karren zur Hütte. Aus dem angrenzenden Unterstand, mehr ein Überhang vom Dach, meckerte Ziege dem Esel eine Begrüßung zu. Der Kohler spannte den Esel ab und führte ihn mit einer Handvoll Heu tief gebückt, also der Kohler, nicht der Esel, in den Unterstand. Geübt verstellte er dabei der Ziege den Weg nach draußen, bevor er sie auch mit dem Heu zum Trog lockte. Zwei Handvoll Futter aus einem beinahe leeren Sack später, waren die beiden mit Abendbrot beschäftigt. Der Kohler hatte noch eine Weile zu tun.

Er lud die Säcke und Hühner vom Karren und trug sie in die Hütte, schob den Karren an die Hüttenwand und ging hinein. Er tastete sich die Deckenbalken entlang bis zum gemauerten Herd, kniete nieder und blies vorsichtig auf die Kohlen im Herd und fütterte die glimmenden Kohlen sorgsam mit Ästchen und Spänen. Erst als hier wieder ein kleines Feuer brannte, entzündete er mit einem Span eine Pechlaterne unter dem Rauchabzug und erhellte die Hütte.

Der rötliche Schein beleuchtete zwei an die Wand gebaute Betten, eines gemacht und eines leer. Ein kleines Tischchen und ein Hocker waren rechts von der Kochstelle, darüber hing eine Pfanne und ein Topf stand neben dem Feuer im Herd. Neben der Tür lehnte ein grob gezimmerter Werkzeugständer. Darin hingen mehrere Äxte, Beile und Haken sowie zwei Sägen.

Im schwachen Licht schnitt sich der Kohler eine Scheibe hartes, dunkles Brot ab und schöpfte darauf vom lauwarmen Brei aus dem Topf. Er aß nur wenige Bissen, bevor er die Reste durch das Fensterchen in den Unterstand warf. Weder Esel noch Geiß ließen sich lange bitte.

Dann streckte sich der Kohler so gut es ging auf dem kurzen Bett aus, schaute nicht an die Stelle über der Tür, blies die Laterne aus und schloss die Augen.

Der Kohler – 2

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Steuern

Der Bewohner der kleinen Fronhütte duckte sich vor dem Steuereintreiber und das fiel dem Bauern gar nicht so leicht. Obwohl er nur mittelgroß war, hätte er den kleinen kugelbäuchigen Mann vor sich immer noch überragt. Seine Arme und Beine waren von der harten Arbeit auf den steinigen Feldern, die zu seinem Gedinge gehört, zwar nicht dick aber kräftig geworden und sicherlich dicker als die des Steuereintreibers. Der Winter war zwar ausnehmend mild gewesen, die Mobilmachung im letzten Herbst hatte ihn aber den Ertrag zweier Felder sowie zwei Sauen gekostet. Zwar waren sie im Winter nicht verhungert, aber sie standen auch ohne bare Münze da.

Der Steuereintreiber und sein Wohlwollen standen zwischen Marten und seinem finanziellen Ruin, er wollte den Beamten keinesfalls verärgern.

Johan Borken war sicherlich nicht sehr ansehnlich, zum Kugelbauch und den dürren Armen gesellte sich schließlich noch eine dünne spitze Nase und eine sehr hohe Stirn. Er war außerdem wahrscheinlich der schlechteste Steuereintreiber im Reich, denn so hätte er mit seinen Freunden gescherzt, wenn er welche gehabt hätte, sein größter anatomischer Nachteil war sein Herz.

Was Marten ihm gerade erzählt hatte, hatte er heute und in den letzten Tagen genau so schon mehrmals gehört und er konnte es nicht nur verstehen, sondern er hatte sogar Verständnis.

Dennoch würde er ihn auf die Liste setzen, aber zuerst würde er ihn warnen. „Er hat keine Kinder?“ fragte er ihn. Marten schaltete nicht: „Doch! zwei Söhne und eine Tochter – die muss ich auch ernähren!“ „Nun Bauer Marten, er weiß, dass er unter Reichsrecht nur einen Sohn zum Dienst geben muss und für die Dauer seines Dienstes ist er von der Steuer ausgenommen“ „Ja, ja, aber das möchte ich nicht, die beiden sind noch viel zu jung“.

„Marten, so hör er zu, die Armee ist in Greifenstedt und sie rekrutiert gerade aus allen Familien mit Steuerschulden. Ich könnte vermuten, dass sie auf dem Weg zu den Minen oder zur Reichsgrenze auch hier vorbeikommen, da könnte dein Ältester wohl eingezogen werden. Also wenn er vom Alter und da ist, nehmen sie ihn morgen Abend mit.“ Johan blickte erst auf Marten, dann versuchte er nicht zu den beiden Bewaffneten zu schauen, die das Packpferd bewachten. „Also seht zu, dass ihr morgen Abend nicht anderorts seid!“

Marten sah zu, wie sich der unsympathische kleine Kerl auf sein Pferd hievte. Der stoppelhaarige Bewaffnete links von ihm grinste breit und entblößte tabakschwarze Zähne, die rund um eine breite Zahnlücke standen. Die rechte Wache schaute unverwandt auf den Eintreiber, bis der hochsah und zusammenzuckte, dann nickte der Rechte und ritt los. Zahnlücke starret noch ein wenig länger, bis sich Marten umdrehte und seine Tochter am Fenster stehen sah. Der Bewaffnete winkte ihr zu und spuckte einen schwarzen Strahl Kautabak aus, dann ritt auch er los.

„Was machen wir denn nun?“ dachte Marten laut „Wir müssen unserer Sachen packen“ sagte seine Frau Hannah zu ihm, „morgen früh ziehen wir los und besuchen meine Schwester in Bergeding.“ „Aber wir können doch nicht alles zurücklassen?“

„Was denn?“ fragte Hannah schroff, „die Sauen sind weg und die Ziegen kommen mit.“ „Sonst haben wir nichts mehr außer den Kindern, den Feldern und der Hütte und die werden in ein paar Tagen noch da sein, aber unsere Kinder nicht!“

Marten hatte zugehört, wie ihm der hässliche kleine Steuereintreiber erklärt hatte, dass er seinen Erstgeborenen morgen gegen die Steuern tauschen konnte. Und er hatte zugesehen, wie der zahnlückige Bewaffnete, den er dabeihatte, auf seine Tochter gestarrt hatte.

Er hatte leider nicht gesehen, wie Harald, er kannte ihn als die rechte Wache, auf dem Weg zum Dorf immer wieder abschätzig auf den Steuereintreiber starrte. Er hatte nicht gehört, wie Harald zu seinem Hauptmann sagte: „Er hat sie alle gewarnt, wir kommen morgen“. Und er hatte die beiden nicht lachen gehört. Ganz sicher wäre er nicht so ruhig am Abend zu Bett gegangen, wenn er gewusst hätte, dass sich wenige Stunden später, nach der zweiten Wache auf dem Hof des Gasthauses die Bewaffneten sammelten und in mehreren Gruppen je zu fünft in Richtung der säumigen Aussiedler-Höfe ritten.

Jelena und Matjas

Talgede lag im Dunkeln unter ihnen. Die frühe Frühlingsnacht hatte zusammen mit einem kalten Wind, alle Wärme aus der Luft gezogen. Jelena war trotzdem nicht kalt. Sie saß zusammen mit Matjas am Eingang einer der halb-künstlichen Höhlen, die in einiger Höhe in den Hang oberhalb des Dorfes getrieben war und in denen die Arbeiter ihre Werkzeuge lagerten. Diese hier gehörte Matjas‘ Vater, so wie auch die Terrassen am Hang, auf denen die sauren Kirschen und kleinen Äpfel angebaut wurden, für deren Schnaps und Saft diese Region bekannt war.

Einerseits war ihr nicht kalt, weil sie ein ganzes Stück schnell durch die Nacht gelaufen war, vom Hof ihres Vaters der ein gutes Stück außerhalb des Dorfes lag. Sie hatte heute erst sehr spät aus dem Haus schleichen können, weil ihre Eltern hektisch ihre paar Habseligkeiten zusammenpackten. Andererseits war ihr nicht kalt, weil Matjas sie im Arm hatte, obwohl er ihr weniger die kalte Nachtluft vom Leib hielt, als dass er ihr mehr oder weniger unauffällig versuchte, das Oberteil hochzustreifen.

„Ich werde dich wochenlang nicht sehen“ klagte sie

„Ich würde ewig auf dich warten“ versprach ihr Matjas „Ich würde warten bis der Winter kommt und dann noch jedes Jahr eine Blume hier an diesen Ort legen, wo wir uns liebten“

Jelena lehnte sich etwas enger an ihn, das war zwar geflunkert, aber es war trotzdem romantisch und schön. Auf jeden Fall schön genug, um den kalten Wind noch einen Moment länger zu ignorieren.

Vorm Gasthaus in Talgede gingen Fackeln an. Wie wütende Glühwürmchen schwirrten sie im Zentrum des kleinen Dorfes, sammelten sich in kleine Grüppchen, um dann sowohl talab als auch talauf der Straße aus dem Dorf zu folgen. „Sie reiten zu den Aussiedlerhöfen“ sagte Matjas. „Was wollen sie denn da, wer ist denn das?“ fragte Jelena. „Die Eintreiber! Sie sind alle heute im Lauf des Tages von Greifenstedt gekommen“ „Sie sind auch bei meinem Vater am Hof“ rief er „Aber dein Vater zahlt doch Steuern“ „Aber nicht genug! Ich muss da runter, sonst nehmen sie meinen Bruder mit“.

Matjas ignorierte ihre Einwände, küsste sie nur noch einmal ungeschickt und hastete durch die Nacht den Hang hinunter.

Jelena schaute von oben hinunter auf’s Tal. Sie sah die Fackeln bei Matjas Hof zusammenziehen, als er dort ankam. Kurz darauf bewegten sich die Lichtpunkte wieder in Richtung des Gasthauses. Am Aussiedlerhof ihres Vaters, war einiges an Bewegung. Die Lichter hüpften und kreisten ärgerlich vor und zurück, eines ging aus, noch eines und plötzlich sprang das dritte Licht und wuchs bis sie das Dach ihrer Scheune in Flammen aufgehen sah. Die zwei Fackeln, die noch brannten bewegten sich zurück in das Dorf. Ein wenig ruckartig, so wie eine Raupe, die immer wieder stolperte oder hängen blieb.

***

Der Kohler – 3

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Am Morgen im Gasthof

Johan hatte gut geschlafen. Er freute sich zwar nicht auf die Beleidigungen und Schuldzuweisungen des Tages, aber war guter Dinge, dass die meisten Bauern seine subtilen Hinweise verstanden hatten. Die restlichen Truppen und Rekruten erwarteten sie erst am Nachmittag. Greifenstedt, war zu Fuß einen knappen halben Tag entfernt, die Rekrutenwagen waren so früh in der Saison meist noch etwas langsamer.

Er trat aus dem Gasthaus in den Innenhof, um zur Latrine zu gehen. Der Hof war angefüllt mit drei Gitterwägen der Reichsarmee. Die Rekruten aus Greifenstedt füllten die einzelnen Wägen, manche schauten lustlos, andere hatten nur erschöpft die Köpfe gesenkt. Johan erkannte auch eine Reihe von den Jungen und Mädchen hier aus Talgede. Sie saßen in kleinen Trauben am Boden, eng zusammen gedrängt gegen die morgendliche Kälte, teilten sie sich viel zu wenige Decken. Unter der Aufsicht von Harald bereiteten einige Soldaten schon die Deichseln vor. Die übrigen waren damit beschäftigt herumzustehen und die Kinder bedrohlich anzufunkeln.

Selbstverständlich gab es für die Rekruten keine Zugtiere. Tagsüber wurden sie an die Deichseln gebunden und nachts schliefen sie in den Gitterwägen. Dass die Wägen heute alle hier waren hieß, die armen Kinder hatten die ganze Nacht hindurch die Karren hergezogen.

[alt2] Johann zuckte zusammen, als der Hauptmann ihm unvermittelt den Arm um die Schulter legte. In einer viel zu engen Umarmung aus verschwitztem Leder, altem Qualm und saurem Wein zog der ihn über den Hof. „Das hat doch einmal großartig geklappt mein Bester! Hätten sie den Bauern nicht so glaubhaft versichert, dass wir die Kinder erst morgen abholen, wer weiß wie viele noch abgängig geworden worden.“

Johann spannte sich und versuchte nach vorne zu entkommen, aber der Hauptmann hatte seine Schulter schmerzhaft fest im Griff. Er lehnte seinen Kopf nach vorne, bis sie beinahe Stirn an Stirn standen, dann knurrte er: „Das wäre verräterisch schlecht gewesen, wenn wieder so viel Rekruten plötzlich die Verwandten besuchen, wie in Greifenstedt.“ Johann spielte einen Augenblick lang mit dem Gedanken seinen Kopf nach vorne und oben zu reißen, dem Kerl die Nase zu brechen, gleichzeitig faselte er unzusammenhängenden Widerspruch. Der Hauptmann kam ihm zuvor und nickte einmal, ließ seine Stirn mit einem trockenen Tock an Johann’s schnellen. Der war kurz geblendet, aber mehr vom Schreck als vom Schmerz. Immerhin hatte der Kerl ihn losgelassen und er taumelte ein paar Schritte zurück. „Was fällt ihm ein!“ seine volle Blase hatte er vergessen. „Ich werde mich über ihn beschweren“ echauffierte er sich. „Machen sie das“ grinste der Hauptmann „Und seien sie froh, dass einige der Bauern hier zwei Söhne hatten, sonst könnten sie sich darüber beschweren, dass sie vor die Karren gespannt wurden. Jetzt verpissen sie sich, sonst find ich einen Platz für sie“.

Johan flüchtete in die Latrine, er stand lang zitternd vor der Rinne, bis die Natur stärker als seine Aufregung wurde. Erleichtert war er dennoch nicht, als er wieder in den Hof trat.

Auftrag im Wald

Nach einer unruhigen Nacht, saß der Kohler vor der Hütte und flocht Weidenzweige und Flachs in ein enges Gitter. Esel und Ziege ästen gemütlich am Rand der Lichtung und machten beim Fressen einen großen Bogen um Meiler und Pechstein. Die Ziege gab schon lange keine Milch mehr, also hatte er sie nur zu füttern, den Esel hatte er schon gebürstet. Die drei Hühner gluckten unzufrieden in ihren engen Käfigen, aber der Unterstand war noch nicht dicht genug, um sie hinein zu setzen.

Etwa die Hälfte des Morgens war verstrichen, bis die Einfriedung des Anbauschuppens so dicht geflochten war, dass die Hühner nicht mehr ihre Hälse hindurchstecken konnten. Er setzte sie hinein, warf ihnen zwei Handvoll Körner auf den Boden und begann die Ziege einzufangen.

Eine Weile später gingen der Esel und der Kohler leicht beladen in Richtung des Unterstandes an der Kreuzung Die Ziege stand auf einem Baumstumpf am Rand der Lichtung und schaute ihnen unverwandt hinterher. Der Esel trug zwei leere Eimer, der Kohler hatte eine Schaufel auf der Schulter und ein kleines Beil am Gürtel. An den tieferen Löchern im Weg blieb er manchmal kurz stehen, während der Esel weiterlief.

Der Esel kam ein Stück vor dem Kohler am Hauptweg an, er blieb etwas unschlüssig stehen, schüttelte sich ein paar Mal, aber leider lösten sich die Eimer nicht. Also wartete er geduldig und beäugte die Männer im Unterstand.

Als wenige Minuten später der Kohler vom kleinen Seitenweg aus dem Wald trat, blickte er zuerst auf den Käfig, dann auf die drei Männer, die im Unterstand saßen und lagerten. Er atmete tief durch und legte seine große Hand auf den kleinen Kopf des Esels.

Eine der drei Männer erhob sich von dem Baumstumpf an der kleinen Feuerstelle im Unterstand auf. Mit vorgerecktem Kinn kam er die paar Meter über den Weg heran, blieb breitbeinig stehen und richtete sich vor dem Köhler auf. Der neue Wildhüter, vielleicht schon immer ein Wildhüter der Familie Greif, aber erst seit ihrer Installation hier der neue Wildhüter, war ein Mann durchschnittlicher Größe, überdurchschnnittlichen Bauchumfangs und ausgeprägtem Geltungsbedürfnis.

„Bist endlich aus deinem Rußofen gekrochen?“ fragte Hjallman den Kohler „Wir sitzen hier schon zwei Pfeifenlängen und haben noch nichts von dir gesehen. Stehst du immer so spät auf?“ Der Esel sah zum Wildhüter hoch und der Kohler sah zum Wildhüter herunter. „Du sollst im Tiefwald den frischen Schlag säubern“ Hjallman runzelte die Stirn „Hast du mich verstanden? Langsamer und etwas lauter: „Die frisch gefällten Bäume entasten sollst du. Kannst du das?“

Der Kohler schaute zum Käfig hinüber.

 „Was glotzt du denn? Hjallman machte einen Schritt auf den Hünen vor sich zu, schob sein Kinn noch etwas weiter vor:“ Hast du noch nie einen Deserteur gesehen?“ Der Kohler beugte den Kopf nach unten, sein Bart schob sich etwas nach vorne. Er kratzte sich langsam am linken Rippenbogen, machte einen Schritt zurück. Der Wildhüter nickte scharf: „Los jetzt“ blaffte er ihn noch einmal an.

Hjallman drehte sich mit einem gemurmelten: „Schwachkopf“ zum Unterstand. Er griff ein Scheit vom Feuerholz und schlug damit gegen den Käfig. „Genug gefaulenzt“ Der dünne Jugendliche im Käfig kauerte sich im engen Käfig tiefer zusammen. „Auf jetzt, Ihr auch“! Die beiden anderen Männer rappelten sich grummelnd auf. Der kleinere von beiden machte sich am Käfig zu schaffen, er löste das Tau mit dem der Käfig verschlossen war, Fluchend und schimpfend, weil er mit einer Hand den Käfig halten und mit der anderen den Knoten lösen musste, dabei rammte er sich mehrmals den schweren Käfig an die Schienbeine. Übel gelaunt zerrte er den Jungen heraus, stieß ihn zu Boden und gab ihm noch ein paar Tritte.

Der größere hatte inzwischen die drei Reitpferde hinter dem Unterstand eingesammelt. „Hey, pass auf, dass er noch laufen kann.“ Schnauzte er: „Oder willst du laufen, wenn ich ihn auf dein Pferd binde?“

Der Kleine grinste: „Wir binden ihn einfach auf den Esel hier, auf den großen“ Er zerrte den Jungen auf den Weg, vor den Kohler, der immer noch nur einen halben Schritt auf dem Weg stand. Der kleine schmutzig blonde Mann hatte sein Gesicht zu einem breiten Grinsen verzogen. Er ließ den Jungen los, aber noch bevor der sich sammeln konnte, versetzte er ihm einen achtlosen Rückhandschlag. Er schob seine Zunge durch die zersplitterten Zähne in seinem Oberkiefer, so dass sie wie eine stinkende Schnecke unter seiner krummen Nase hervorlugte. „Schöner Esel“ er tätschelte dem kleinen Esel an die Backe, dabei starrte er unverwandt in die Augen des großen Mannes. Der Kohler atmete heftiger, er lehnte sich zurück, weg von dem hässlichen kleinen Mann.

„Kraki lass den Schwachkopf, ich will weiter“. Kraki drehte sich kichernd um, er fing das Seil auf, dass ihm Hjallman zuwarf und bandes dem Jungen um den Bauch. Alle drei steigen auf und ritten los. Hjallman vorweg, Kraki und der Junge hinter ihm. Den Schluss machte der Große Bjari, der sich mehrmals stirnrunzelnd nach dem zitternden Mann am Wegesrand umsah, der starr stand, die Hand fest in die Mähne des kleinen Esels gekrallt.

***

Der Kohler – 4

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Der schlechteste Bösewicht

Die Gitterwägen setzten sich in Bewegung, Johan war übel. In der letzten Stunde hatten der Hauptmann und Harald den Widerstand der Jugendlichen gebrochen. Zusammen mit ihren Männern hatten sie mit einer erprobten Kombination aus Drohungen und Gewalt die Söhne und Töchter der Bauern von Talgede an die Geschirre der Wägen gezwungen.

Sie hatten mit den beiden Mädchen begonnen. Ana und Marie hatten sich seitdem sie gestern Nacht aus ihren Familien gerissen wurden gegenseitig im Arm, erst zum Trost und je kälter der Morgen wurde, um sich gegenseitig warm zu halten. Ana war ein kräftiges dunkelhaariges Mädchen, das schon seit einigen Jahren auf der Schweinefarm ihres Vaters arbeitete und auch zwei Ferkel unter dem Arm tragen konnte oder einem vorwitzigen Kerl beim Herbstfest ohne Küsse, aber mit blauen Flecken zurücklassen konnte. Marie war ebenfalls dunkelhaarig, aber schmal und zart. Sie war ihrer Mutter zusammen mit ihren zwei Geschwistern beim Spinnen und Weben zur Hand gegangen, seit ihr Vater beim Holzfällen verunglückt war und sie war eine begabte Weberin. Als jüngste von den dreien, war sie leider aber auch die, die ihre Mutter als letztes würde verheiraten können. Sie war kaum alt genug, um gegen den Groschen getauscht zu werden, erkaufte aber ihrer Mutter und ihren Schwestern zwei Jahre Zeit und ein wenig Hoffnung. Sie hatte die ganze Nacht geweint und sich fest an Ana geklammert, bis einer der Soldaten Ana grob am Arm packte, auf die Beine zog und zum ersten Gitterwagen zog.

Klaas, der zahnlückige Bewaffneten, der Martens Tochter so ölig angestarrt hatte, Klaas war die perfekte Besetzung für diese Aufgabe. Er war schon eine Weile nahe bei dem Häufchen Elend der beiden Mädchen gestanden. Ab und an leckte er sich die Lippen und dauernd, viel zu lang, musterte er die Brüste der beiden Mädchen, die sich in der morgendlichen Kälte unter den langen Tuniken deutlich abzeichneten. Klaas stellte sich breitbeinig über die beiden, packte Ana am Arm und zog sie an seinem Oberschenkel nach oben. Er gab ihr einen Stoß mit Schulter und Hüfte und drehte sich mit ihr zum Wagen, blockierte geübt mit dem Oberschenkel das reflexhaft hochgerissene Knie. Ana schrie entrüstet auf, als er sie grob an der linken Brust packte.

Harald und der Hauptmann standen an gegenüberliegenden Seiten des Hofes. Sie kannten beide Klaas Vorstellung, die umso besser war, weil sie nicht im Geringsten gespielt war. Harald kam nicht um eine gewisse geekelte Faszination umhin: Wie oft ein Mann auf so wenigen Schritten ein Mädchen unsittlich berühren konnte!

Sie hatten die Jungen im Auge. Einer von ihnen würde gleich bestens mit ihnen zusammenarbeiten. Harald hatte auf Martens Sohn gesetzt, der Hauptmann auf Matjas, den Sohn des Ortsvorstehers. Keiner von beiden hatte Marie im Blick. Als Ana überraschend aus ihrem Arm gerissen wurde, war sie nach vorne gefallen, wie erstarrt lehnt sie einen Augenblick auf ihren instinktiv vorgestreckten Händen, dann kreischte Ana und Marie explodierte. Sie stieß sich mit den Händen ab, krabbelte erst auf allen Vieren, aber sich zunehmend aufrichtend auf Klaas zu und katapultierte sich aus der Hocke auf ihn, krallte sich in sein Gesicht. Dabei übertönte sie und kurz darauf auch Klaas, Ana um ein Vielfaches.

Klaas stieß Ana weg und versuchte Marie abzuwehren, als er sie nicht zu fassen bekam, warf er sich nach Vorne und sie schlug unter ihm mit einem Übelkeit erregenden Knacken auf. Harald fluchte und sprang hinzu, um Klaas von dem Mädchen runter zu ziehen. Der Hauptmann Uskar blieb ruhig und wartete weiter auf seinen Freiwilligen.

Matjas hatte tatsächlich gedöst, als das Handgemenge los ging. Er war in den letzten Stunden ein wenig im Selbstmitleid versunken, nicht weil er sich besondere Sorge, wegen der kommenden zwei Jahre Zwangsdienst machte, sondern weil er nicht bei Jelena geblieben war. Er war sich sicher, dass es ohne die unzeitgemäße Intervention der Soldaten endlich soweit gewesen wäre. So hatte er ein bisschen vor sich hingeträumt, was alles hätte passieren können und war inzwischen bei den Tagträumen bei der Vorstellung angekommen, wie es sein würde, wenn er in einigen Jahren triumphierend in das kleine Dorf zurückkommen würde. Er wurde wach als Ana anfing zu schreien und er von Janis, Martens Sohn, unsanft angerempelt wurde.

Als die Soldaten gestern zum Aussiedlerhof gekommen waren, war Marten ohne zu zögern aus dem Bett gesprungen, hatte seinen Flegel gegriffen, war aus dem Haus gestürzt und auf die Soldaten losgegangen. Seine Frau Hannah war ihm in den Arm gefallen, bevor er einem von ihnen den Schädel einschlagen konnte, aber auch so schaffte er es noch einen der Soldaten mit der Faust niederzustrecken und einen zweiten so heftig zu treten, dass er Schwert und Fackel fallen ließ. Dann hatten ihn zwei Soldaten gepackt und auf die Knie gezwungen, während der dritte stolpernd, aber mit purer Mordlust in den Augen, sein Schwert vom Boden klaubte.

Harald stoppte ihn: „Wenn n dahergelaufener Bauer dich verprügeln kann, hast es nicht besser verdient.“ Der Soldat machte den Mund auf und holte Luft. „Jetzt zünd die Scheun an“ Unterbrach ihn Harald. Der Soldat grinste. Und nahm die Fackel auf.

Harald ritt zum tobenden und fluchenden Marten: „Es ist dir überlassen. Deine Scheune hast schon verloren, solls auch noch dein Haus sein oder schickst du deinen Sohn mit“

Hinter Harald begann das Strohdach der Scheune Feuer zu fassen in Martens Augen spiegelten sich die Flammen. Dann schloss er die Augen und nickte.

Zu sehen, wie Soldaten seinen Vater verprügelten und ihre Scheune anzündeten, hatte Janis unendlich wütend gemacht, aber nicht dumm. Er ahnte, dass die Soldaten nur auf einen Vorwand warteten, um in unverhohlene Gewalt auszubrechen.

Also hatte er zweimal tief Luft geholt und war dann aus der Tür getreten. Die Männer hatten ihm die Hände gefesselt und hinter ein Pferd gebunden. Auch der Soldat, den sein Vater niedergeschlagen hatte, konnte nicht reiten, sondern nur taumelnd gehen. Das machte den Weg etwas erträglicher, aber weniger wütend war er deswegen nicht

Ana’s Schrei brachte das Fass fast zum Überlaufen. Die arme kleine Marie, unter dem perversen Söldner zucken zu sehen, war der letzte Tropfen. Sein Gesichtsfeld verengte sich und das Blut pochte in seinen Schläfen. Er sprang auf, sein Knie stieß unsanft gegen Matjas Schulter, als er auf das Gerangel zu rannte.

***

Der Kohler – 5

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Ein besserer Bösewicht

Uskar machte einen ruhigen Schritt nach vorn, trat dem Jungen auf den Fuß und schlug ihm mit der linken Hand in den Nacken. Der Junge wurde noch vorne geschleudert und schlug hart mit Händen und Knien auf dem Boden auf. Vom Sturz geschockt, registrierte Janis keine Schmerzen, wohl aber den heftigen Tritt in seine Rücken, der ihm die Luft aus den Lungen presste. Der Hauptmann blieb mit einem Fuß im Nacken des Jungen stehen. Er musterte die Situation bei Klaas und sah, dass Harald ihn hochgezogen hatte, er hatte blutende Kratzer im Gesicht und sein Ohr blutete heftig. Das kräftige Ding, das er angetatscht hatte wurde von zwei seiner Soldatinnen festgehalten, sie wand sich heftig, die beiden schienen sie aber im Griff zu haben. Das kleine Mädchen, das ihn angegriffen hatte, lag allerdings unnatürlich still da. Er verzog missbilligend das Gesicht.

„Genug!“ herrschte er. Der Hof erstarrte. Nur das kräftige Mädchen versuchte sich weiter los zu reißen und der Sohn des Ortsvogtes war aufgestanden.

Der Hauptmann hielt die Münze hoch, die er als Requisite für die Szene schon seit einer Weile in der rechten Hand hielt: „Das ist euer Wert! Zwei Jahre Steuern, nicht mehr und nicht weniger, seid ihr für eure Familien!

„Das Reich hat für euch – für eure Familien – die Steuern bezahlt, gibt euch Arbeit, Kleidung und Unterkunft, ihr steht in seiner Schuld, gehört dem Reich jetzt mit Haut und Haaren. Falls ihr nicht gehorcht, falls ihr faulenzt, falls ihr desertiert, seid ihr eine Last für das Reich. Nur noch dazu gut, aus euch ein Beispiel zu machen.“ Er wandte sich zum stehenden Jungen, lehnte sich nach vorne, sein Fuß grub sich in den Nacken des Jungen, der vor ihm lag: „Möchtest du das Beispiel sein?“ Matjas schluckte und setzte sich hin.

„Johan hier hat für jeden von euch die Zahlung des Steuergroschens in seinem kleinen schwarzen Buch eingetragen. Dafür bringen wir euch nach Kaiserach, wo ihr in Dienst genommen werdet. Falls ihr auf dem Weg dorthin beschädigt werdet, verunglückt oder sterbt, ist das Sachbeschädigung und dafür muss bezahlt werden.“ „Du wirst also für den Schaden, den du angerichtet hast bezahlen“ Er sah Klaas an, der öffnete den Mund um zu protestieren, aber Harald stieß ihn an. Missmutig grummelnd kramte Klaas in seiner Börse und reichte sie dem Johan. Der starrte auf die Münze als wäre sie mit etwas Ekelhaftem überzogen.

Uskar beugte sich runter, griff Janis an den Haaren und zog ihn nach oben: „Muss ich für dich bezahlen?“ Janis ballte die Fäuste. Der Hauptmann warf die Münze auf den Boden. Während Janis noch von dem polierten Geldstück abgelenkt war, zog Uskar seinen Rattenschwanz und zog dem Jungen mit der lederbezogenen Eisenrute einen brutalen Streifen auf die Schienbeine und als dessen Beine nachgaben und er schreiend zu Boden ging, zeichnete er mit zwei knappen Schlägen ein Kreuz auf seinen Rücken. Nicht zu fest, er wollte schließlich nicht noch eins verlieren.

Der Rest der Marschvorbereitung war ohne weitere gewaltsame Zwischenfälle vonstattengegangen. Johan hatte es dennoch nicht ausgehalten. Unfähig weiter zuzusehen, war er zitternd auf sein Pferd gestiegen und ein Stück aus dem Hof geritten. Hier fand ihn der Hauptmann, der ihn abschätzig angrinste. „Nicht vergessen, die Bücher auszugleichen! Falls das Mädchen noch überlebt, will Klaas seinen Groschen sicher zurück.“ Johan schmeckte sein eigenes Erbrochenes im Mund, aber nickte unterwürfig.

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Der Kohler – 6

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Im Tiefwald

Der Kohler hatte zwei Eimer mit Kies gefüllt, die schleppte er den schmalen Weg entlang und füllte immer wieder einen Teil davon in die tiefsten Matschlöcher auf seinem Weg. Der Esel leistete ihm Gesellschaft. Er stand jedes Mal, wenn der Kohler ein Loch gefunden hatte, daneben und wartete geduldig, während der Kohler einen Eimer absetzte, das Loch aus dem anderen füllte und die Steine zum Schluss mit seinen großen Füßen feststampfte. Er wartete auch geduldig während der Kohler die schweren Eimer beide wieder aufnahm und den Weg weiterlief. Dann folgte der Esel dem Kohler wieder unauffällig und unbeladen.

Die beiden erreichten die Hütte ein kleines Stück nach dem Mittag, aber ohne eine Pause zu machen, ging der Kohler in die Hütte und kam mit den beiden Astäxten, seinem Waldmesser und einem Seilbündel beladen wieder heraus. Das alles lud er auf den Esel, dann hielt er einen Augenblick inne, sah sich vergeblich nach der Ziege um und versorgte sich und den Esel noch mit Wasser, bevor sich die beiden auf den Weg machten.

Kleine tiefliegende Augen beobachteten den Esel und den Kohler bei diesen Unterfangen.

Der Tiefwald war ein kleines Vorplateau in Richtung Greifenstedt, eigentlich nah bei den beiden Gedingen. Man erreichte es jedoch nur durch den Wald, da der Berg vorher scharf abbrach, zerklüftete und nicht so sanft anstieg wie am Weg entlang. Da der Tiefwald schlecht zu erreichen war, wurde hier lange wenig Holz geschlagen. Die Ambition der neuen Grafen verlangte nun aber nach Bauten, die ihrer Stellung ebenbürtig war und dazu sollten die lange vergessenen Eichen und Eschen die nötigen Balken und Bretter liefern.

Der Kohler sollte die frisch geschlagenen Baumriesen für den Abtransport vorbereiten, die abgeschlagenen Äste würden nächstes Jahr seinen Meiler füttern. Das feuchte Laubwerk schon beim nächsten Kohlbrand als Gerüst und Dämmschicht unter dem Löschdach dienen. Es war gleichzeitig Recht und Pflicht des Kohlers, das Schlagholz zu säubern und so festgelegt im Kohlerbrief, der ihm auch die Nutzung der Hütte, einen festen Eigenschlag und das Stellen von Fallen zudingte.

Der Kohler war etwas schneller gelaufen als gestern, auch wenn es der Weg kaum zuließ und sich der kleine graue Esel redlich mühen musste, mit ihm Schritt zu halten. Und kaum waren die beiden am ersten geschlagenen Baum angelangt, machte sich der Kohler mit den beiden Astäxten an sein Werk.

Die Äxte sind kurzstielig, kopflastig und schwer. Die Klinge ist fast gerade und sehr weit nach unten gezogen. Sie ist schräg und versetzt zum Griff geschmiedet. Dadurch kann der Kohler gerade Schläge führen, die dicht am Stamm und gegen den Wuchs die Äste abtrennen, ohne dass er mit den Knöcheln an den Stamm schrammt. Mit einer Axt in jeder Hand attackierte er die Äste mit heftigen Schlägen. Erst nachdem er den ersten Stamm fast geschoren hatte, hielt er schwer atmend inne. Die linke Axt hatte sich in einem dicken Knoten verfangen, dabei etwas gedreht und die raue Borke hatte die Haut der vorderen Knöchel von kleinem Finger und Ringfinger gerissen.

Er presste die blutenden Finger an seinen Bauch, der Schweiß lief ihm von der Stirn in den Bart, tropfte vor ihm auf den Baumstamm, als er sich langsam und mit verzerrtem Gesicht nach vorne beugte. So blieb er eine Weile gekrümmt stehen, bis der Esel ihn mit dem Kopf anstieß. Der Kohler ließ sich langsam auf den nassen schlammigen Boden sinken. Der Esel drängte sich mit der Seite an ihn und stieß ihn mit der Seitentasche einige Male an. Nach einigen Stupsern, begann der Kohler schließlich in der Tasche zu kramen und brachte zwei Karotten zum Vorschein, die er dem Esel fütterte. Befriedigt ließ der den Kohler nun in der Pfütze sitzen und suchte sich eine etwas trockenere Stelle.

Er saß so eine Weile mit nassen Hosen am Boden, so lange, dass der kleine graue Esel bereits über eine dritte Karotte nachdachte. Dann schüttelte er den Kopf und stand langsam auf. Die feuchten Beinkleider klebten ihm am Hintern und schmutziges Wasser lief seine Beine herunter. Langsam, viel langsamer als vorher sammelte er die abgeschlagenen Äste auf zwei Haufen zusammen, ab und an verzog er das Gesicht und klaubte die nasse Hose von den Orten an und in die sie kroch. Den kleineren Asthaufen bander an das Geschirr des Esels, nahm das zweite Seilende in die Hand und so schleiften die beiden ihre Last entlang schmaler Tierpfade durch den Wald, bis sie am späten Nachmittag wieder auf den Hauptweg gelangten.

Der breite Waldweg war ungewöhnlich aufgewühlt, mehrere Reiter und Wägen waren in den letzten Stunden hier entlanggekommen. Die beiden hielten sich in der Mitte des Weges, der am wenigsten durch Räder und Hufe aufgewühlt war. Sie kamen gut voran und bogen vielleicht eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung am reichlich verdreckten Unterstand auf den kleinen Weg zur Kohlerhütte ab.

Ein Stapel letztjähriger Äste und Scheite war umgeworfen und Ziege stand kauend auf der teils aufgepflügten Lichtung. Das Gatter zum Anbau hing schief, aber stand noch nicht weit genug offen, um den Hühnern die Flucht zu erlauben. Aus dem halb aufgebauten Meiler in der Mitte der Lichtung war Rascheln und Scharren zu hören. Der Kohler zuckte nur die Achseln. Er spannte den Esel ab und führte ihn zum Unterstand. Er warf eine Handvoll Körner aus einem hoch hängenden Sack in den Unterstand und füllte die Tröge von Esel und Ziege, während die Hühner hungrig nach den Körnern pickten. Die gefüllten Tröge entfalteten ihre magische Wirkung und zogen die beiden Mitbewohner des Köhlers wie an der Schnur zu sich. Vorsichtig gebückt, verließ der Köhler den kleinen Anbau. Er richtete das Gatter und sicherte es nach einem prüfenden Blick zum Meiler noch zusätzlich mit einem Stück des Seils, mit dem er die Zweige herbeigebracht hatte. Bevor er selber in die Hüte ging, blieb der Kohler an dem länglichen Erdhügel neben der Hütte stehen.

***

Vor zwei Sommern hatte der Altkohler den verdreckten, fiebergeschüttelten und beinahe ausgebluteten Mann nahe des Hochpass gefunden. Er hatte erst versucht den Fieberwahnsinnigen durch den Wald zu schleifen, aber konnte den großen Mann auch nicht zusammen mit seinem Esel transportieren. In einem behelfsmäßigen Unterschlupf hatte er ihn 40 Tage lang gepflegt. Jeden Tag rechnete er damit, dass der Fremde seinen letzten Atemzug tun würde, aber der hatte sich langsam erholt. Die klaffende Wunde in seiner linken Seite hatte sich geschlossen und das Fieber war abgeklungen. Bis zum Herbst hatte sich der Mann genug erholt, um ihm leidlich bei seiner Arbeit zur Hand zu gehen.

Weder fragte der Altkohler ihn jemals wo er hergekommen war, noch erzählte der Fremde es ihm, tatsächlich hatte er seit seinen wilden Flüchen und wirren Rufen, als ihn das Fieber noch fest im Griff hatte, kein Wort mehr gesagt.

Der Altkohler respektierte die Stille des Hünen, vergrub dessen Schwert und die geborstene Laute bei der langstieligen Axt und dem kurzen Speer neben der Hütte und freute sich an der Gesellschaft und ungeschickten Hilfsbereitschaft des bärenhaften Mannes.

Beinahe 40 Tage hatte es auch im letzten Winter gedauert, bis der Alte vom Husten aufgezehrt war. Der Kohler hatte ihn ebenso treu gepflegt und versorgt, nur leider ohne Erfolg. Darum musste er kurz nach den längsten Nächten des Winters auch das Grab hier ausheben. Er war dabei auf die Kiste, mit den Waffen gestoßen, die sorgsam in Öltuch eingeschlagen in einem Meter Tiefe ruhten, hatte den Alten dazu gebettet und das Loch wieder zugeschüttet. Nur die Laute hatte er genommen und über die Tür gehängt. Und er vermied es seitdem sorgsam dorthin zu blicken.

***

Der Kohler – 7

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Auf dem Weg

Johan schaute angestrengt gerade aus. Er ritt am Beginn der Karawane, eine Pferdelänge vor Hauptmann Uskar und Truppmeisterin Viari, dessen zweiter Stellvertreterin. Die beiden hatten sich noch eine Weile unter dem Vorwand zu plaudern über ihn lustig gemacht, hatten aber schließlich, da er sich nur höchstens einsilbig äußerte, aufgegeben. Sie unterhielte sich jetzt in einem für ihn als Zivilsten fast unverständlichen Kauderwelsch, über Truppenbewegungen und was sie vom Sommer erwarteten. Beide schienen nicht besonders glücklich über die Aussicht auf Frontdienst, aber auch ausgesprochen gelangweilt von der Steuereskorte zu sein. Johan tat sein möglichstes sie auszublenden. Der Hauptmann machte ihm zwar schreckliche Angst, aber er löste bei ihm nicht den gleichen instinktiven Abscheu aus, wie Harald und Klaas, die ihn die letzten Tage fast ununterbrochen begleitet hatten. Uskar machte wenigstens alles was er tat mit einer perfiden aber eiskalten Absicht. Das vermittelte ihm die Illusion kontrollierbar zu sein, während Harald und Klaas sich mit einer gemeinen Freude an Gewalt und beiläufiger Brutalität ein tieferes Bedürfnis zu erfüllen schienen. Haralds Rang spiegelte dabei nicht nur seine höhere Intelligenz, sondern auch seine größere Beherrschtheit wieder. Bei Klaas war sich Johan sicher, dass der wie der Skorpion in der Fabel den Fuchs nicht nur stechen, sondern dabei auch unablässig kichern würde.

Hinter den beiden Offizieren kam der erste Wagen. Im Geschirr eingespannt waren zwölf Jugendliche aus Greifenstedt. Sie liefen bereits in einem passablen Gleichschritt, kräftesparender und flüssiger als der gemischte Trupp des zweiten Wagens. Die hier kamen nur zum Teil aus Greifenstedt sondern waren auch auf dem Weg eingesammelt worden, sie liefen tatsächlich erst seit heute Morgen zusammen. Obwohl sie sich schon zwei Tage an die Karren gewöhnen konnten, hatten sie noch keinen gemeinsamen Rhythmus gefunden. Am dritten Wagen waren nur zehn Plätze besetzt, er rollte mit einigem Abstand hinter den beiden anderen her und die drei Soldaten, die jeden Wagen direkt begleiteten, mussten dieser Gruppe am häufigsten nachhelfen.

Hinter jedem Wagen liefen gemütlich zwei Ochsen. Sie hatten ihre Aufgabe auf dem Herweg erfüllt und konnten sich nun mit Ochsendingen befassen.

Harald und Klaas ritten am Schluss der Kolonne, in der Arschlochposition, und das war Klaas Schuld, beziehungsweise die Strafe für sein Versagen heute Morgen im Hof. Klaas hatte bis zur ersten Rast auf der Lichtung am Waldrand missmutig geschwiegen und nur ab und zu die Kratzer in seinem Gesicht betatscht oder an dem Verband an seinem Ohr gepokelt. Die Pause war kurz gewesen und das kleine Bächlein bereits völlig zertrampelt und schlammig. Dennoch hatte er sich leider ausreichend erholt, um seinen Missmut nun auch grummelnd laut zu machen. Er pfiff erst die drei Männer seines Trupps zusammen, die dem Wagen zugeteilt waren, und schnauzte sie wegen des langsamen Tempos an, blaffte die Jugendlichen im Geschirr an und rüttelte an den Gitterstäben des Karrens. Der Junge im Wagen war erschrocken bis an das gegenüberliegende Gitter zurückgewichen, Das Mädchen hatte sich immer noch nicht gerührt, atmete aber auch noch. Klaas musterte sie eine Weile abschätzig.

„Ich hab für die Kleine ja bezahlt“ sagte er zu Harald, der eine Wasserflaschen in den Käfig reichte. „Für den Schaden den du ang’richt hast du Tölp“, brummte Harald. „Und sie ist doch auch für nichts gut, oder? Ich mein, ich bin schon ein ganzer Kerl, da knackt halt was, wenn ich drüber rutsche“ Klaas lachte gehässig „Wäre ja nicht das erste Mal“

„Hast für‘n Bock bezahlt, nicht für’s Mädel“ Harald schüttelte den Kopf „Schau, dass Pferd Wasser bekommn“ Klaas hatte erst einmal seine Arbeit gemacht, vielmehr seinen Trupp genötigt, sie zu erledigen. Die kurze Rast war eine willkommene Pause für Haralds Ohren, aber jetzt ging es wieder weiter und die beiden ritten am Ende des Zuges. Im Staub und einem dauernden Redefluss von all den Dingen, die Klaas im Allgemeinen normalerweise für sein Geld bekam – von Frauen im Besonderen.

Der letzte Wagen und der dazugehörige Trupp bekam keine weiter Pause. Sie quälten sich langsam und halbwegs stetig voran, bis sie in der beginnenden Abenddämmerung zu einer kleinen Blockhüttensiedlung kamen. Drei Hütten standen rechts vom Weg in einem Halbkreis auf einer flachen Lichtung. Der Boden der Lichtung war dunkel, fast schon schwarz und es wuchs kein Grashalm auf der freien Fläche. Der Grund wurde dunkler, je weiter er vom Waldweg entfernt war, am dunkelsten war er gegenüber am anderen Ende Lichtung. Hier stand ein gedrungenes steinernes Gebäude mit einem schmalen Turm oder überbreiten Schornstein.

Die ersten beiden Wägen waren bereits abgespannt, die Jugendlichen saßen erschöpft auf dem Boden. Im Zentrum der Lichtung brannte ein Feuer unter einem großen Topf, der an einem metallenen Dreibein hing.

„Haben es die werten Herren und Damen endlich geschafft“ begrüßte sie Viari. „Das Essen ist gleich fertig, also seht zu, dass ihr Wasser holt und eure Pferde versorgt, wenn ihr warm essen wollt, was Wanja und Lar heute kochen“ Sie drehte sich um: „Ach und ihr bringt jeder noch einen Armvoll Holz zum Feuer. Sonst gibt es auch nix.“

„Hör mal“ bauschte sich Klaas auf, „ihr seid doch schon lang genug hier, warum habt ihr denn kein Holz geholt?“

„Lass“ Harald fasste ihn am Arm

„Wir fressen den ganzen Tag ihren Staub und die Weiber können grade mal kochen, das seh ich nicht ein, denen Holz her zu schleifen“

„Dein Trupp hat außerdem Latrinendienst Klaas. Da drüben am Waldrand ist glaube ich eine gute Stelle“

Klaas wandte sich an Harald: „Das muss ich mir doch von der nicht sagen lassen“ Harald schüttelte den Kopf. Klaas grinste Viari an: „Siehst du..“

„Von mir“ unterbrach ihn Harald

„Was“ stotterte Klaas.

„Von mir lässt dir‘s sagen“ Harald saß ab.

Klaas stieg fluchend vom Pferd, Harald reichte ihm seine Zügel: „Kümmerst dich drum“

Harald ging mit ihr in Richtung des Lagerfeuers. „Die linke Hütte ist für Uskar und uns beide, in der Mitte ist mein Trupp und rechts kann sich Klaas einnisten.“ Sie zeigte die Hütten mit der Hand an.

„Ist mit der Großen?“

„Das ist eine Räucherhütte oder so etwas, stinkt widerlich und ist schmutzig“ sie zeigte ihm einen rußgeschwärzten Ärmel.

„Pechsieder, Feinruß“

Viari schaute ihn fragend an.

„Pechsieder leben hier Sommer, machen Ruß für Tinte, Feuer in der Hütte“

Viari brauchte einen einen Moment, bis sie das übersetzt und die fehlenden Worte ersetzt hatte, dann nickte sie.

„Danke“ sagte sie.

„Wofür?“

„Dass du meinen Befehl nicht widerrufen hast“

„Befehl ist Befehl, Fähnrich Rottmeister, Rottmeister gehorcht“

„Klaas ist widerspenstig genug, gerade wenn ich die Befehle gebe“

„Musst du klar kommen, braucht kein Schwanz für Befehle.“

„Ich brauch keinen Schwanz für Eier meinst du“

Sie waren bis zum Kochfeuer gekommen und der Koch hatte die letzten Worte gehört.

„Jeder weiß unsere Fähnrich hat die härtesten Eier“ Drehte er sich zu beiden um.

„Und auch nen härteren Schwanz als du, Wanja.“ rief die narbige Kriegerin, die neben ihm Wurzeln schnitt.

„Seit wann, schöne Lethe, kannst du Schwänze beurteilen.“

Die beiden flachsten noch eine Weile hin und her, bis Klaas missmutig fluchend und einen Haufen Äste auf den Stapel beim Feuer warf, sich eine Schale griff und lautstark zu essen begann.

***

Der Kohler – 8

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Gewissen und Steuern

Matjas war überzeugt, dass es eine Falle war. Der Steuereintreiber hatte sich nachts zum Wagen geschlichen, kurz nachdem Klaas die verletzte Marie geholt hatte. Er hielt sich einen Finger an Lippen, dann löste er den Riegel. Jannis hatte angehoben etwas zu sagen, aber der kleine Mann mit der Halbglatze hatte den Kopf geschüttelt und war geduckt weggelaufen.

Jannis, der schließlich den ganzen Tag nur faul im Wagen gelegen hatte, war sofort aufgestanden: „Los, los“, flüsterte er, „wir müssen Marie helfen.“ Er öffnete vorsichtig das Gitter und setze sich an den Rand des Wagens, dann ließ er sich leise herunter.

„Das schaffen wir nie“ Ana stand unschlüssig an der Tür.

„Ihr spinnt wohl! Wenn ihr abhaut, lassen sie es an uns aus“. Matjas hielt sie am Arm fest.

„Dann komm halt mit“ Haagen stellte sich zu Ana

„Die werden euch jagen im Wald und eure Eltern verlieren den Hof“ Matjas wurde lauter.

„Schh, sei leise“ Tjark war aufgestanden, er war etwas größer als Matjas und hob die Faust, als Matjas den Mund wieder aufmachte. Da hielt er lieber den Mund

„Viel Glück ihr beide, lauft schnell! Falls sie was merken lenke ich sie ab“

Ana nickte ihm zu, Haagen nahm sie an der Hand und die beiden stiegen vorsichtig vom Wagen nach unten. Jannis hatte an der Ecke des Gitterwagens gewartet, er hatte eine Hand an der Geschirrstange und die Schulter am Wagen. Er versuchte die Dunkelheit auf der Lichtung zu durchdringen, aber nur die Reste des Kochfeuers warfen einen leichten glutroten Schein. Ana duckte sich und schaute zum Waldrand. Haagen hockte zwischen ihnen.

„Wenn wir uns beeilen, können wir direkt am Feuer vorbei zum Siedehaus schleichen, die Wachen sind alle bei den Hütten“ Er schaute über die Schulter nach hinten.

Haagen schüttelte den Kopf: „Am Waldrand entlang! Wenn sie uns entdecken können wir in das Unterholz verschwinden“

Ana nahm ihnen die Entscheidung ab, sie zog Hagen an der Hand in Richtung des Waldrandes. Jannis folgte ihnen.

Sie waren unentdeckt bis zur Einmündung des Weges auf die Lichtung gelangt. Aus der Hütte, die am dichtesten stand war lautes Schnarchen zu hören. Die drei hatten sich hinter einem Busch versteckt.

„Wo sind die Wachen? fragte Ana.

„Das ist die Gelegenheit, um Marie zu holen. Es ist nur einer von ihnen bei ihr.“ Sagte Janis

„Und wenn sie alle bei ihr sind?“

„Dann müssen wir sie erst recht retten!“

Jannis schaute Ana fragend an. „ich kann das nicht, ich schaff das nicht“ sie wandte sich in Richtung des Waldweges, nach Hause.

Haagen schüttelte auch den Kopf: „Lass uns einfach abhauen, Mann komm mit“

Jannis stand auf: „Das kann ich nicht“ Er begann geduckt hinter den Hütten entlang zu schleichen.

Die beiden anderen hasteten den dunklen Waldweg entlang.

Wird fortgesetzt…

Der Kohler – 9

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Vor der Flucht

Mit großen Schritten hatte Klaas die beiden Pferde, seins und Haralds, zu den anderen gezerrt. Dort hatte er beide schroff aber sorgfältig abgesattelt, abgerieben und gefüttert. Anschließend pfiff er den Rest seiner Truppe zusammen und ließ zwei von ihnen eine Grube ausheben, während er mit den übrigen in den Wald brach und trockene Äste einsammelte. Beim Versorgen der Pferde und Feuerholz sammeln machte seine Rotte einen großen Bogen um ihn. Das war für sie einerseits gesünder und für Klaas gerade recht. Er hing immer noch der Ungerechtigkeit nach, die ihm seit dem Morgen widerfuhr. Nachdem er den Stapel Holz beim Feuer hingepfeffert hatte, schob er den dort sitzenden Wanja beiseite, griff sich eine Schüssel und stach wütend mit dem Löffel in den dicken Eintopf.

Viari holte schon Luft, um ihn wieder zusammen zu scheißen, aber Wanja rollte grinsend die Augen und winkte mit dem kleinen Finger ab. Nach und nach versorgten sich auch die übrigen Nachzügler aus Klaas Rotte mit Eintopf und es kehrte gefräßige Stille ein.

Unvermittelt hob Klaas lächelnd den Kopf: „Wir machen heut gern die Dritte Wache“

Viari schaute ihn mit aufgerissenen Augen an: „Die letzte? Freiwillig?“

„Echt Klaas, spinnst du?“ brach es aus Anderklaas heraus.

„Halt die Schnauze, wir waren am längsten Unterwegs, da möcht ich als erstes Schlafen“ herrschte Klaas zurück.

„Und wer von uns macht die Wache?“ fragte ihn Bent.

„Schön dass du fragst“ Klaas fletschte die Zähne „Wir beide machen die Hundswache und Anderklaas kann sich mit Ennu den Sonnenaufgang ansehen“

Dass ihr Rottführer mitwachen würde dämpfte den Widerwillen ein wenig und recht kurz darauf zog sich der Trupp zum Schlafen zurück.

***

Johan war nervös, als er zu Bett ging. Es war nicht die Angst vor dem Hauptmann. Die war sicherlich da, aber er war es seit seiner Jugend gewohnt, von den starken Kerlen bedroht und gequält zu werden, sogar Angst verliert ihren Schrecken, wenn sie Routine wird.

Ein bisschen rumgeschubse und Hohn jetzt, dann eine Tirade von einem Hierarchen in Kaiserach, nicht schön, aber Menschen, die ein Strafmaß sauber ausrechnen können, sind seltener, als die Grobiane, die es verteilen. Der Kaiser wusste das, genauso wie er wusste dass es die Buchhalter waren, die seine Kriegsmaschine schmierten.

Nein, er hatte keine Angst davor, als Verräter bestraft zu werden, nur weil er ein paar Familien vorgewarnt hatte. Er war nervös, weil es dieses Mal einfach nicht genug war. Wenigstens auf der Reise sollten die Kinder noch sicher sein. Aber er hatte sich nicht getraut, auf dem Tavernenplatz einzuschreiten und nun lag ein Mädchen im Koma.

Er fing an im Kopf einige alte Bilanzen durchzugehen, im Soll gegen Haben lag eine Ausgeglichenheit, die ihn langsam in den Schlaf driften ließ.

***

Klaas wurde wach, als Bent von Lethe am Bein geschüttelt wurde und dadurch mismutig wach wurde.

„Klar schüttelt sie dein Bein“ flüsterte er grinsend

Bent grunzte nur unwillig

„Wenn sie an meinem schüttelt, hätte sie eine große Überraschung erlebt“

Bent rollte hörbar mit den Augen: „Einmal was anderes von dir“

Von draußen schwebte noch ein geflüstertes. „Fick dich selber Klaas“

Der sprang wütend auf, „Von wegen“ grunzte er. Er besann sich der Schlafenden bevor er weiter fluchte und ging leise grummelnd aus der Hütte.

Er pisste lautstark gegen die Hüttenwand und wiederholte noch einmal „von wegen“ dann wartete er grinsend auf Bent.

„Du fängst an der Klippe an, dann drehst du eine Runde um das Lager“ sagte er und zeigte mit den Armen die Runde an, die Bent laufen sollte

„Was ist mit unseren Rekruten“ fragte Bent

„Um die kümmere ich mich, mach die Runde anders herum. Wir treffen uns nach der Runde an der Rußhütte“

Bent zuckte die Achseln, er war eigentlich ganz froh, nicht mit Klaas laufen zu müssen und begann außerhalb des Feuerscheins um das Lager zu laufen.

Klaas schaute ihm einen Moment hinterher und merkte sich die Richtung, in die er losgelaufen war.

Dann setzte er sich auch in Bewegung.

Er ging auf geradem Weg zu den Wägen mit den Rekruten, warf einen kurzen Blick in jeden und fand nur – wenn auch unruhig – schlafende Jugendliche vor.

Zum Schluss ging er zum Wagen in dem seine Rekrutin lag. Sie war noch nicht wach geworden, lag immer noch genau so, wie sie abgelegt worden war, im vorderen Drittel.

Jemand hatte einen Mantel über sie und ein paar Fetzen unter ihren Kopf gelegt. Die anderen hatten sich im Rest des Wagens zusammengerollt.

Die Tür des Wagens war mit wenigen Handgriffen offen. Er stieg hinein, das Schaukeln weckte die übrigen Insassen, zumindest einige von ihnen. Er hielt sich den Finger an die Lippen.

“Ich kümmere mich um sie, Hütte ist wärmer“ flüsterte er

Jannis rappelte sich auf: „Lass sie in Ruhe“ flüsterte er feindselig. Hob dann an den Satz lauter zu wiederholen, als er merkte, dass er ja gar nicht flüstern musste.

Klaas schlug mit seinem Knüppel Jannis Schuh: „Halt die Klappe oder ich stopf sie dir“

Dann schaute er sich in der Runde um: „Noch einer der nicht will, dass ich ihr helfe?“

Er lud sie auf seine Schulter, zog die Tür ins Schloss, verriegelte sie aber nur mit einer Hand.

Dann ging er sorgfältig den Weg, den Bent schon gerade patrouilliert hatte, zur Rußhütte.

Wird fortgesetzt…

Der Kohler – 10

This entry is part 10 of 25 in the series Der Kohler

Die Rußhütte

Johann hockte missmutig im Gebüsch hinter seiner Hütte. Der Eintopf, vielmehr sein durchschlagende Wirkung, hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. An den Weg zur Latrine war nicht zu denken gewesen, so war er nur wenige Schritte über den schmalen Weg hinter den Hütten in den Wald gehastet. Während die Krämpfe langsam abflauten und der Schweiß auf seiner Stirn langsam trocknete, versuchte er im dunklen die Flora um sich zu herum zu identifizieren. Hauptsache groß sollten die Blätter sein. Er hatte gerade immerhin einen vielversprechenden Farn ertastet, als er die grobschlächtige Gestalt von Klaas auf dem Weg sah. Die Silhouette war im ausgehenden Feuer deutlich zu erkennen und er sah, dass er das Mädchen über der Schulter trug.

Als Johann auf den Weg trat, konnte er noch beobachten, wie Klaas die Tür zur steinernen Hütte an der Klippe aufstieß und hineintrat. Unschlüssig ging er langsam einige Schritte in die Richtung, er blieb stehen, drehte sich halb um. Seine Schultern sanken herab und er lehnte sich gegen einen Baum. So wartete er ein paar Minuten schaute in das Dunkel hinter Klippe und wusste nicht worauf er eigentlich wartete.

Bent hatte den kleinen Steuereintreiber schon aus einiger Entfernung am Baumstamm lehnen sehen. Mit einem leichten Grinsen ging er leise und gleichmäßig weiter. Johann bemerkte ihn erst, als der andere schon fast bei ihm stand. Er zuckte zurück und stieß sich den Ellenbogen am Baumstamm an, er saugte schmerzerfüllt Luft ein. Bent stand vor ihm, den Knüppel drohend erhoben. Dann grinste er: „Entschuldigt der Herr, hab euch erst nicht erkannt, dachte erst ihr wärt ein Eindringling“

Johann verzog schmerzlich das Gesicht: „Nichts passiert, nichts passiert“, beschwichtigte er. „Das hätte ja ordentlich schief gehen können“.

Bent nickte nur langsam mit dem Kopf und brummte zustimmend.

„Klaas ist schon bei der Rußhütte“ sagte Johann, er nahm seinen Mut beisammen „Ich frage mich wozu er das Mädchen dorthin mitgenommen hat?“

Bent sah ihn scharf an: „Welches Mädchen?“

„Die Verletzte, Marie glaub ich“ er stockte kurz „ist das denn so ordnungsgemäß?“

Bent war kurz still, dann zuckte er mit den Schultern und hb herausfordernd den Kopf: „Komm doch mit und schau zu“ sagte er.

Johann schüttelte den Kopf

„Nein? Na dann geht’s am besten zurück in’s Bett, nicht dass bei der Patrouille nachher doch noch ein Unfall geschieht.“ Erschaute Johann abwartend an.

Der drehte sich um und ging zu seiner Hütte. Bent wartete ein paar Augenblicke, dann rollte er mit den Augen und machte sich auf den Weg zu Rußhütte, um nachzusehen, was sein Rottmeister Klaas anstellte, er konnte sich allerdings nur zu gut vorstellen, was das war.

Johann stand in seiner dunklen Hütte. „Ich frage mich wozu er das Mädchen mitgenommen hat“ murmelte er. So sehr er sich vor der Vorstellung ekelte, was sich gerade in der Hütte an der Klippe abspielte, ekelte er sich sogar noch mehr vor seiner eigenen Feigheit.

Jedesmal wenn er sich einem der Soldaten entgegenstellte, wurde er zu einem stammelnden Wicht. „Aber ich muss doch irgendetwas tun“ er schlug mit der Faust nach der Holztür, aber machte im letzten Moment die Faust auf, nur seine Fingerspitzen schlugen schmerzhaft gegen das raue Holz.

Er saugte an einem Spreißel, den er sich eingezogen hatte. Dann griff er seine Lederkladde und steckte seinen Kopf vorsichtig durch die Tür. Sie Luft schien rein zu sein also schlich ungeschickt und sich immer wieder schuldbewusst umschauen aus der Hütte und zu den Wagen mit den Rekruten. Dort angekommen löste er den Riegel außen am ersten Wagen, den mit den Talgedinger Rekruten. Die Jungen und Mädchen im Wagen waren wach und sie schauten ihn misstrauisch an. Einer von ihnen schien noch etwas sagen zu wollen, aber Johanns Mut war aufgebraucht und er huschte geduckt zu seinem gemütlichen ältlichen Wallach, der stand etwas einsam ein paar Meter abseits der anderen Pferde. Er band ihn immer ein paar Meter weg an, weil er überzeugt war, dass ihn die Soldantepferde nicht leiden konnten.

***

Jannis saß unwissentlich unweit der Stelle an der sich Johann erleichtert hatte. Er war wütend auf die anderen, aber noch viel wütender war er auf Klaas. Trotzdem nahm er sich hier ein paar Minuten, um das Lager in Augenschein zu nehmen. Er konnte keine Bewegungen erkennen und er sah auch keine Wachen am Feuer. Oder auf dem Weg. Aus der Rußhütte drang nur bei der Tür ein leichter Lichtschein, sonst kam das einzige unzuverlässige Licht vom Mond und von der dunkler werdenden Glut des Kochfeuers.

Ihm war kalt und die Frühsommernacht ließ seinen Atem beschlagen, der Wald lag still nur ein fauliger Geruch stieg ihm ab und an in die Nase.

Vorsichtig und so gut als möglich im Schatten der Bäume schlich er auf die Klippe zu. Er macht einen Bogen am Waldrand entlang und ging nicht direkt auf die Hütte zu. Dadurch kam er von vorne auf die Tür zu, die eine Spalt offen stand, so dass er einen Teil der linken Innenwand der Hütte sehen konnte.

Drinnen brannte eine Lampe, an der verrussten Wand hingen ein Wams und eine Bruche und auf dem Boden im Dreck lag zusammengeknüllt die Kittelschürze von Marie. Jannis sah rot, er packte einen am Boden liegende Ast und stürmte zur Tür, stieß sie mit der Schulter heftig auf. Ein Blick reichte, schmutziger Tisch, darauf Marie und davor die nackten Beine und der nackte Arsch von Klaas, der grunzend über sie gebeugt war. Er schlug einmal mit dem Ast zu, traf den Rücken und lockte ein quieken hervor, holte dann weiter aus und ließ den Ast mit aller Kraft auf den Hintern heruntersausen.

Bent hatte in der Ecke hier der Tür gestanden, noch unschlüssig, ob er mitmachen wollte oder noch einmal nach den Rekruten sehen und so tun sollte, als hätte er nix mitbekommen.

Die Tür traf ihn schmerzhaft an Schulter und Arm. Er stieß sie weg und sah wie einer der Jungen gerade einen morschen Ast auf Klaas Hintern zerschlug, der quiekte lautstark.

Bent packte den Jungen an der Schulter und zog ihn zurück. Janis wurde nach hinten gerissen und schlug wild um sich, ein Ellenbogen nahm Kontakt mit einem Schädel auf und der Griff lockerte sich. Er riss sich los und sprang erneut auf den halbnackten Klaas, klammerte sich an seinem Hals fest und drückte die Arme so fest zusammen wie er konnte.

Klaas warf sich nach links und rechts gegen die Wand der Hütte und versuchte seinen Angreifer los zu werden, aber der ließ nicht locker. Gemeinsam taumelten sie aus der Hütte in Richtung de Klippe. Immer mehr dunkle Flecken sammelten sich und schoben sich vor sein Sichtfeld, das Blut pochte laut in seinem Kopf. Er schaffte schließlich hinter und über sich zu greifen und bekam das Wams des Jungen zu packen. Er zog so fest er konnte und warf sich dabei nach vorne. Der Rand der Klippe und die Finsternis dahinter rasten auf in zu.

Bent hätte nicht untätig dabei gestanden, aber er hatte auch keinen Ansatzpunkt gefunden, wie er hätte eingreifen können. Als Klaas den Jungen an der Klippe abwarf, packte er ihn aber bevor er dem Jungen kopfüber in die Dunkelheit folgen konnte.

Schweratmend lagen sie eine Weile oben an der Klippe, dann sagte Klaas.

„Wir müssen das Mädchen los werden“

Wird fortgesetzt…